Max Weber (German Edition)
so ist das äußere Ergebnis naheliegend: Kapitalbildung durch asketischen Sparzwang.»
Es ist nicht ganz zu erklären, wieso sich Max Weber bei seiner Charakterisierung dieses Denkens so sehr auf Calvin und Baxter konzentrierte, die ihm eigentlich von seiner Erziehung her nicht sonderlich vertraut waren. Die übliche ideengeschichtliche Verbindung in der Sekundärliteratur zur religiösen Gedankenwelt seiner Mutter jedenfalls zeugt von Unkenntnis der innerreformatorischen Strömungen der damaligen Zeit: Helene Weber und ihre Schwestern waren keineswegs durch die orthodox calvinistische oder puritanische Lehre geprägt, sondern vor allem von anticalvinistischen US-amerikanischen Theologen wie William Ellery Channing und Theodore Parker, die in liberal-protestantischen Kreisen des damaligen Deutschland großen Anklang fanden. Schon Max Webers Großmutter, Emilie Fallenstein, las mit ihren Töchtern die Schriften dieser beiden Prediger, und es war seine Straßburger Tante Ida Baumgarten, die ihm diese Gedankenwelt näherbrachte, über die er in einem Brief an seine Mutter vom 8. Juli 1884 berichtete: «Seit verschiedenen Jahren, die ich zurückdenken kann, ist es das erstemal, daß etwas Religiöses für mich ein mehr als objektives Interesse gewonnen hat, und ich glaube meine Zeit doch nicht nutzlos verbracht zu haben, indem ich die Bekanntschaft dieser großen religiösen Erscheinung machte.» Nach seiner Rückkehr in das Charlottenburger Elternhaus wurde diese religiöse Bildung fortgesetzt, wie Webers Mutter ihrer Nichte Emmy Baumgarten berichtete: «Ehe er [Max Weber] seine Kollegien hatte, haben wir, wenn ichs irgend fertig bringen konnte, jeden Vormittag eine Stunde lang Channing gelesen, hauptsächlich seine Vorträge über Volkserziehung und Selbstbildung, was uns sehr interessiert und entzückt hat, obwohl Max und ich von ganz verschiednen Standpunkten ausgehen, da ich seine Theorie, daß ein Teil der Menschen wirklich nur zum Arbeiten für andere und mechanisch fürs liebe Brot [da sei] nicht teilen kann.» Es war also nicht die mütterliche Erziehung und ihrer Schwestern, die Max Weber die (vermeintlich) radikale Position der calvinistischen Prädestinationslehre in den Vordergrund rücken ließ.
Diese puritanische Lebensauffassung jedoch kam seiner eigenen Meinung zufolge der Tendenz zu bürgerlicher, ökonomisch rationaler Lebensführung zugute: «Sie stand an der Wiege des modernen ‹Wirtschaftsmenschen›.» Die entscheidende Wende dieser Entwicklung fand indessen erst statt, als die Formation einer veränderten Einschätzung wirtschaftlichen Handelns sich von ihren religiösen Ursprüngen emanzipiert hatte, nachdem «der Krampf des Suchens nach dem Gottesreich» sich allmählich in nüchterne Berufstugend aufzulösen begann, die religiöse Wurzel langsam abstarb und utilitarischer Diesseitigkeit Platz machte. Mit spürbarem Spott über die von ihm indirekt Porträtierten schrieb Weber: «[…] so mußte schließlich […] das gute Gewissen einfach in die Reihe der Mittel komfortablen bürgerlichen Lebens eingereiht werden, wie dies ja auch das deutsche Sprichwort vom ‹sanften Ruhekissen› recht hübsch zum Ausdruck bringt. Was jene religiös lebendige Epoche des 17. Jahrhunderts ihrer utilitaristischen Erbin vermachte, war aber eben vor allem ein ungeheuer gutes – sagen wir getrost: ein pharisäisch gutes – Gewissen beim Gelderwerb, wenn anders er sich nur in legalen Formen vollzog. […] Ein spezifisch bürgerliches Berufsethos war entstanden. Mit dem Bewußtsein, in Gottes voller Gnade zu stehen und von ihm sichtbar gesegnet zu werden, vermochte der bürgerliche Unternehmer, wenn er sich innerhalb der Schranken formaler Korrektheit hielt, sein sittlicher Wandel untadelig und der Gebrauch, den er von seinem Reichtum machte, kein anstößiger war, seinen Erwerbsinteressen zu folgen und sollte dies tun. Die Macht der religiösen Askese stellte ihm überdies nüchterne, gewissenhafte, ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszweck klebende Arbeiter zur Verfügung. Sie gab ihm dazu die beruhigende Versicherung, daß die ungleiche Verteilung der Güter dieser Welt ganz spezielles Werk von Gottes Vorsehung sei, der mit diesen Unterschieden ebenso wie mit der nur partikulären Gnade seine geheimen, uns unbekannten Ziele verfolge.»
Die Hauptwirkung dieser puritanischen Ethik war Weber zufolge die Herausbildung einer rationalen Lebensführung auf der Grundlage einer
Weitere Kostenlose Bücher