Max Weber (German Edition)
unter Umständen – was er will .»
Ganz allgemein plädierte Weber dafür, eine scharfe Scheidung von (persönlichen) «Weltanschauungen» und wissenschaftlicher, methodisch korrekter Beweisführung anzustreben. Damit näherte er sich dem sehr viel allgemeineren Problem, ob es auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften überhaupt so etwas geben könne wie die «objektive ‹Geltung› der Wahrheit». Explizit fragte er: «Was heißt hier Objektivität?»
Indem er sich auf die Publikationspolitik des Archivs berief, betonte Weber, dass diese durchgehend von einem sozial-ökonomischen «Erkenntnisinteresse» geleitet worden sei. Es handele sich dabei um eine Perspektive, die das forschende Individuum bewusst wählt: «Die Qualität eines Vorganges als ‹sozial-ökonomischer› Erscheinung ist nun nicht etwas, was ihm als solchem ‹objektiv› anhaftet. Sie ist vielmehr bedingt durch die Richtung unseres Erkenntnis interesses, wie sie sich aus der spezifischen Kulturbedeutung ergibt, die wir dem betreffenden Vorgange im einzelnen Fall beilegen.» Wenn sich (Sozial-)Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrem Untersuchungsobjekt nähern wollten, müssten sie dies aus der Perspektive bestimmter Werte tun, die ihnen die sie umgebende Kultur anbietet. Ohne eine solche wertgeprägte Perspektive bleibe die Wirklichkeit ein ungeordnetes Chaos der Widersprüchlichkeit der Fakten und Erscheinungen. Die unendliche Komplexität der Wirklichkeit mache schon eine einfache «Beschreibung» alles Vorfindlichen unmöglich; wenn es bei der wissenschaftlichen Erkenntnis um die Aufdeckung von Verursachungszusammenhängen gehen solle, bedürfe es eines erkenntnisleitenden Interesses, von dem aus man sich um ein «Verstehen» und «Erklären» der sozialen und historischen Wirklichkeit bemühen wolle. Die Aufgabe der Kulturwissenschaften, zu denen nach Weber die Soziologie zählt, sei es, die Wirksamkeit von «Sinn» und «Bedeutung» zu erforschen. Für diese Aufgabe gebe es keine Möglichkeit einer «objektiven» Behandlung, sondern einzig die forschungsleitende Selektion durch «Wertideen», unter denen «Kultur» im Einzelfall betrachtet wird. Für Weber ist Kultur ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens: «Transzendentale Voraussetzung jeder Kulturwissenschaft ist nicht etwa, daß wir eine bestimmte oder überhaupt irgend eine ‹Kultur› wertvoll finden, sondern daß wir Kulturmenschen sind, begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen. Welches immer dieser Sinn sein mag, er wird dazu führen, daß wir im Leben bestimmte Erscheinungen des menschlichen Zusammenseins aus ihm heraus beurteilen, zu ihnen als bedeutsam (positiv oder negativ) Stellung nehmen.»
Bei der Erläuterung seines eigenen Vorgehens präsentierte Weber seine Fassung jenes methodologischen Konzepts, mit dem sein Name bis heute untrennbar verbunden ist: das des «idealtypischen Vorgehens». Kein Thema der Weber’schen Arbeiten zur Methodologie hat eine derart ausgefächerte und anhaltende Diskussion erfahren wie dieses Konzept. Bereits in seiner Habilitationsschrift von 1891 waren dessen grobe Umrisse erkennbar, und spätestens seit 1904, in seinen Arbeiten über die Kulturbedeutung des Protestantismus, verfügte Max Weber über ein einigermaßen klar formuliertes methodologisches Konzept der idealtypischen Methode.
Weber entwickelte dieses Konzept vor dem Hintergrund mehrerer wissenschaftstheoretischer – und zugleich eminent wissenschaftspolitischer – Diskurse und Entwicklungen: sowohl der sogenannte Methodenstreit zwischen der historischen und der theoretischen Richtung der Nationalökonomie – Gustav Schmoller vs. Carl Menger – als auch die Kontroverse zwischen den Schulen des «Neoidealismus» (Wilhelm Dilthey, Edmund Husserl, Georg Simmel) und des «Neukantianismus» (Heinrich Rickert, Rudolf Stammler, Wilhelm Windelband). Das mit dem idealtypischen Verfahren verbundene Konzept entsprang einer breiten Diskussion, die schon lange vor Webers Beiträgen begonnen hatte. Und bei allen Kontroversen ging es auch um den Konflikt zwischen den immer wichtiger werdenden Naturwissenschaften und den etablierten und sich bedroht fühlenden Geisteswissenschaften. Dass dabei neben theoretisch-methodologischen Problemen auch politisch-wirtschaftliche Machtpositionen eine Rolle spielten, machte die
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