Max Weber (German Edition)
ihm das Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, das von seinem Freund und Kollegen Edgar Jaffé finanziert wurde und dessen Redaktion Weber im Jahr 1904 – zusammen mit Jaffé und Werner Sombart – übernahm. Nicht zuletzt durch seine Beiträge entwickelte sich diese zur führenden deutschen sozialwissenschaftlichen Zeitschrift der Zeit. Für Weber sollte das Archiv sein außeruniversitärer Einstieg in die Wissenschaft sein, neben seiner «Schriftleiter»-Tätigkeit für den Grundriß der Sozialökonomik, über den zu berichten sein wird.
Im Jahr 1904 erschien im Archiv nicht nur der erste Aufsatz zur Protestantischen Ethik, sondern unmittelbar davor sein nicht weniger berühmter Artikel über Die «Objektivität» sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. Mit ihm führte Weber seinen eigenen Ansatz wissenschaftlichen Denkens ein: eine kritisch-rationale Wissenschaftsvariante skeptischen Zuschnitts. Hier wurden erstmals explizit seine Konzepte der «Wertfreiheit», der «Wertbeziehung» und des «Idealtypus» entfaltet. In ihrem Geleitwort, das die drei Herausgeber 1904 im ersten Heft gemeinsam veröffentlichten, geht es um programmatische Überzeugungen, die das Archiv leiten sollten. Die in den Beiträgen behandelten Phänomene würden unter einem einzigen «Gesichtspunkt» betrachtet, nämlich deren historische Bedingtheit durch das Vordringen des Kapitalismus. Daher sei dem Archiv eine wichtige neue Aufgabe erwachsen: «Dem Hunger nach sozialen Tatsachen […] ist […] auch ein Hunger nach sozialen Theorien gefolgt, den nach Kräften zu befriedigen eine der künftigen Hauptaufgaben des ‹Archivs› bilden wird.» Bei dieser Aufgabenstellung gehe es vor allem um die «Bildung klarer Begriffe»: «Denn soweit wir von der Meinung entfernt sind, daß es gelte, den Reichtum des historischen Lebens in Formeln zu zwängen, so entschieden sind wir davon überzeugt, daß nur klare eindeutige Begriffe einer Forschung, welche die spezifische Bedeutung sozialer Kulturerscheinungen ergründen will, die Wege ebnen. […] Und indem wir die Neue Folge des ‹Archivs› mit einem Aufsatz eines der Herausgeber eröffnen, der in ausführlicher Weise diese Probleme behandelt, wollen wir unsere Absicht bekunden, uns an diesen prinzipiellen Erörterungen auch unsererseits dauernd zu beteiligen.»
Bei dem derart prononciert angekündigten Herausgeber handelte es sich um Max Weber selbst und dessen Aufsatz über Die «Objektivität» sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. Als Beweis dafür, dass das Geleitwort wesentlich von seinen eigenen Überzeugungen geprägt war, griff Weber gleich einleitend dessen Leitmotive auf, um zwei grundlegende Fragen aufzuwerfen: Von welchen Maßstäben ausgehend, können wissenschaftliche Bewertungen, also «Werturteile», vorgenommen werden? Gibt es «‹objektiv gültige Wahrheiten› auf dem Boden der Wissenschaften vom Kulturleben überhaupt»? Weber sprach durchgehend von «unserer Wissenschaft», meinte damit vor allem die Nationalökonomie, wie er sie an den Universitäten in Freiburg und Heidelberg vertreten hatte, bezog sich jedoch ebenso auf «jede Wissenschaft, deren Objekt menschliche Kulturinstitutionen und Kulturvorgänge sind». In scharfem Gegensatz zu seiner Position, wie er sie neun Jahre zuvor in seiner Freiburger Antrittsvorlesung vertreten hatte, lehnte er nun mit aller Vehemenz die Erwartung ab, die Nationalökonomie könne oder solle Werturteile aus einer spezifisch «wirtschaftlichen Weltanschauung» produzieren, «denn wir sind der Meinung, daß es niemals Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein kann, bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte ableiten zu können». Das bedeutet jedoch nach Webers Meinung nicht, dass Werturteile der wissenschaftlichen Diskussion entzogen seien, die wissenschaftliche Kritik mache vor Werturteilen nicht halt. Die Frage sei: «Was bedeutet und bezweckt wissenschaftliche Kritik von Idealen und Werturteilen?» Webers Antwort lautete, dass wissenschaftlich allein möglich und notwendig sei, jedes menschliche Handeln danach zu beurteilen, ob die gewählten Mittel für die Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet seien oder nicht, wobei vor allem auf die eventuellen Folgen des Handelns geachtet werden müsse, sowohl die gewollten als auch die ungewollten: «Eine empirische Wissenschaft vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur was er kann und –
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