Max Weber (German Edition)
damaligen Kontroversen nur umso heftiger und unnachgiebiger. In diesen intellektuellen Kontroversen in Deutschland um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert waren es u.a. Wilhelm Dilthey, Wilhelm Windelband und Heinrich Rickert, die den Begriff des «Verstehens» zum Ausgangspunkt für die Scheidung von Natur- und Geisteswissenschaften machten: «Verstehen» sollte jene spezifische Methode bezeichnen, mittels deren man sich um die Erkenntnis des Besonderen, des Einmaligen bemühte, d.h. die (angebliche) Sphäre der Geistes- und Kulturwissenschaften, in denen es keine Gesetze wie in den Naturwissenschaften geben könne. Auf die erstarrten Fronten, die von einer unaufhebbaren Trennung der Problembereiche, und damit der sich mit ihnen befassenden Wissenschaften, ausgingen, traf nun der «Objektivitäts»-Aufsatz. Weber wollte bei seiner Interpretation sowohl des «Verstehens» als auch der idealtypischen Methode vor allem jene Historiker korrigieren, die meinten, dass die Vielfalt und beständige Veränderung der historischen Gegenstände es nicht ermöglichten, feste und präzise Begriffe anzuwenden. Gerade weil er die Sicht von Wirklichkeit als einem ungeordneten «Chaos» teilte, vertrat er die Forderung nach «scharfen» Begriffen umso nachdrücklicher: «Aber diese ungegliederte Mannigfaltigkeit der Fakta beweist doch nicht, daß wir unscharfe Begriffe bilden sollen, sondern umgekehrt: daß scharfe (‹idealtypische›) Begriffe richtig angewendet werden müssen, nicht als Schemata zur Vergewaltigung des historisch Gegebenen, sondern um den ökonomischen Charakter einer Erscheinung mit ihrer Hilfe dahin bestimmen zu können: inwieweit sie sich dem einen oder anderen ‹Idealtypus› annähert .»
Webers übergeordnetes Anliegen war es, die «Kulturbedeutung» historischer Tatsachen zu erklären, um in dieses «Chaos» eine gedachte – in diesem Sinne «ideale» – Ordnung hineinzuprojizieren. «Ideal» sind Idealtypen bei Weber in zweierlei Hinsicht: Zum einen sind sie stets auf rein logisch-gedankliche Perfektion hin angelegt, sie verfolgen die in sie einströmenden Tendenzen bis zu einem denkmöglichen Extrem; zum anderen sind sie auch bezogen auf «Ideen», d.h., es sind «Gedankenbilder», also Entwürfe auf Gedanken hin. Die Steigerung und Synthese bestimmter Elemente und Momente der beobachtbaren Wirklichkeit orientiert sich an «Ideen», die für das Handeln von Menschen und Gruppen als leitend interpretiert werden. Weber lehnte es eindringlich ab, in den von ihm entwickelten Idealtypen den «eigentlichen Sinn» der Geschichte, ihr «Wesen», zu sehen. Wenn er von der «gedanklichen Steigerung bestimmter Elemente der Wirklichkeit» sprach, so meinte er damit zum einen, dass die Idealtypen aus der historischen Wirklichkeit gewonnen werden müssen, zum anderen, dass ein in sich widerspruchsloser Kosmos gedachter Zusammenhänge durch Steigerung, bis hin zur «Utopie», konstruiert wird. Die Tatsache, dass für die Idealtypen nie historische Realität in Anspruch genommen wird, macht sie zu einem ausschließlich formalen Instrument der intersubjektiven, diskursiven Erfassung historischer Wirklichkeit.
«Erkenntnisinteresse» und «Wertideen» stellen nach Weber die «Wertbeziehung» zwischen Forscher und Forschungsgegenstand her und haben für die Forschungsergebnisse entscheidende Bedeutung. Welche «Wertideen» als forschungs- und erkenntnisleitend ausgewählt werden, sei keine subjektive, willkürliche Angelegenheit des einzelnen wissenschaftlich tätigen Subjekts: «was Gegenstand der Untersuchung wird, und wie weit diese Untersuchung sich in die Unendlichkeit der Kausalzusammenhänge erstreckt, das bestimmen die den Forscher und seine Zeit beherrschenden Wertideen […] Denn wissenschaftliche Wahrheit ist nur, was für alle gelten will, die Wahrheit wollen.» Diese intersubjektiv bestimmte und kontrollierte Auswahl der forschungsleitenden Ideen und Interessen unterliege nun ihrerseits einem fortdauernden Wandlungsprozess. Mit dem Wandel der «Kulturprobleme», d.h. der «herrschenden Wertideen», wandelten sich auch die forschungsleitenden Gesichtspunkte. Dies macht, nach Weber, die «ewige Jugendlichkeit» aller historischen Disziplinen aus, «denen der ewig fortschreitende Fluß der Kultur stets neue Problemstellungen zuführt». Blieben so die «Ausgangspunkte» der Kulturwissenschaften «wandelbar in die grenzenlose Zukunft hinein», so gebe es dennoch einen «Fortschritt» der
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