Max Weber (German Edition)
Berufsidee, die aus dem Geist der innerweltlichen Askese entstanden war: «Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist. Nur wie ‹ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könnte›, sollte nach Baxters Ansicht die Sorge um die äußeren Güter um die Schultern seiner Heiligen liegen. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden. Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist – ob endgültig, wer weiß es? – aus diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr. […] Niemand weiß noch, wer künftig in jenem Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber – wenn keins von beiden – mechanisierte Versteinerungen, mit einer Art von krampfhaftem Sichwichtignehmen verbrämt. Dann allerdings könnte für die ‹letzten Menschen› dieser Kulturentwicklung das Wort Wahrheit werden: ‹Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschtums erstiegen zu haben.›»
Nach dieser pathetischen Zusammenfassung verwandte Weber erhebliche Mühe auf die methodologische und inhaltliche Einordnung seiner Darstellung. Der problematische Rekurs von theologischen Traktaten hin zur sittlichen Praxis der Lebensführung war ihm bewusst: «Es kommt natürlich hier für uns nicht sowohl darauf an, was die theologische ethische Theorie begrifflich entwickelte, sondern darauf, was im praktischen Leben der Gläubigen geltende Moral war, wie also die religiöse Orientierung der Berufsethik praktisch wirkte.»
Die soziologische Relevanz der Weber’schen Studien über die Kulturbedeutung des Protestantismus herauszuarbeiten heißt Position beziehen in einem seit mehr als hundert Jahren andauernden wissenschaftlichen Diskurs. Die möglichen «Lesarten» dieser Arbeiten waren und sind orientiert an unterschiedlichen Erkenntnisinteressen und Theoriezusammenhängen, und ihr literarischer Niederschlag füllt Bibliotheken.
Schon aus den vorangegangenen Abschnitten ergab sich, dass Webers wissenschaftliches Hauptaugenmerk bis zur Entstehungszeit der Protestantischen Ethik der Kulturbedeutung des Kapitalismus gegolten hatte. Weber hatte sich dem Protestantismus zugewandt als einer der gedanklichen Quellen ebendieser Wirtschaftsordnung. Hier war es primär sein Interesse an einer bestimmten Verfassung der sozio-ökonomischen Strukturen der abendländischen Kultur, durch das er auf die Erforschung der religiösen Ordnungen gelenkt wurde. Es lässt sich zeigen, dass Webers Analyse dieser Zusammenhänge im Wesentlichen auf drei Ebenen angesiedelt war (Abb. 1).
Zwischen diesen drei Ebenen finden Vermittlungen statt, die durch die beiden idealtypischen Konstrukte «Geist des Kapitalismus» und «Innerweltliche Askese» angedeutet sind. Dabei behauptete Weber keine kausale Adäquanz, sondern eine «sinnhafte» Adäquanz, d.h., er sagte nicht, wenn A (= Calvinismus, Puritanismus), dann B (= Kapitalismus), sondern vielmehr: Wenn A (= Kapitalismus) und B (= Berufsethos, Innerweltliche Askese) zusammentreffen, kann sich («Chance») der moderne Kapitalismus als herrschende Wirtschaftsform durchsetzen und hat dieses in den von ihm betrachteten historischen Fällen getan.
Diese Vermittlung zwischen den Ebenen 1 und 3 findet statt durch Prozesse, die durch Akte handelnder Individuen in Gang gesetzt werden. Diese Handelnden sind nicht abstrakte Konstruktionen, sondern konkrete Personen, die mit ihrem Handeln einen zu erfassenden subjektiven Sinn verbanden. Von dort ging Weber über
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