Max Weber (German Edition)
solche Verwaltung nun stellte der Wirtschaftsführung in dieser rechtstechnischen und formalistischen Vollendung nur der Okzident zur Verfügung. Woher hat er jenes Recht? wird man also fragen müssen. Es haben, neben anderen Umständen, auch kapitalistische Interessen ihrerseits unzweifelhaft der Herrschaft des an rationalem Recht fachgeschulten Juristenstandes in Rechtspflege und Verwaltung die Wege geebnet […] Aber keineswegs nur oder vornehmlich sie. Und nicht sie haben jenes Recht aus sich geschaffen. Sondern noch ganz andere Mächte waren bei dieser Entwicklung tätig. Und warum taten die kapitalistischen Interessen das gleiche nicht in China oder Indien? Warum lenkten dort überhaupt weder die wissenschaftliche noch die künstlerische noch die staatliche noch die wirtschaftliche Entwicklung in diejenigen Bahnen der Rationalisierung ein, welche dem Okzident eigen sind?»
An dieser Stelle schlug die ursprüngliche Fragestellung Webers in eine neue um: Nicht mehr die Frage nach den Ursachen des spezifisch abendländischen Kapitalismus steht im Vordergrund, sondern die Frage nach den Merkmalen eines «spezifisch gearteten ‹Rationalismus› der okzidentalen Kultur» und nach dessen Ursachen und Wirkungen. Der seiner Meinung nach fundamentalen Bedeutung der Wirtschaft entsprechend, seien vor allem die ökonomischen Bedingungen zu berücksichtigen, aber auch der umgekehrte Kausalzusammenhang dürfe darüber nicht unbeachtet bleiben: «Denn wie von rationaler Technik und rationalem Recht, so ist der ökonomische Rationalismus in seiner Entstehung auch von der Fähigkeit und Disposition der Menschen zu bestimmten Arten praktisch-rationaler Lebensführung überhaupt abhängig. Wo diese durch Hemmungen seelischer Art obstruiert war, da stieß auch die Entwicklung einer wirtschaftlich rationalen Lebensführung auf schwere innere Widerstände. Zu den wichtigsten formenden Elementen der Lebensführung nun gehörten in der Vergangenheit überall die magischen und religiösen Mächte und die am Glauben an sie verankerten ethischen Pflichtvorstellungen.»
Weber behauptete in diesem Zusammenhang von seinen Protestantismus-Untersuchungen, dass diese versucht hätten, in einem wichtigen Einzelpunkt der Bedingtheit der Entstehung einer «Wirtschaftsgesinnung», des «Ethos», einer Wirtschaftsform, durch bestimmte religiöse Glaubensinhalte näher zu kommen, und zwar an dem Beispiel der Zusammenhänge des modernen Wirtschaftsethos mit der rationalen Ethik des asketischen Protestantismus. Dabei sei jedoch nur der einen Seite der Kausalbeziehung nachgegangen worden. Die Aufsätze über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, also die Studien über die Glaubenswelten Chinas, Indiens und Palästinas, hätten hingegen dem Versuch gedient, «in einem Überblick über die Beziehungen der wichtigsten Kulturreligionen zur Wirtschaft und sozialen Schichtung ihrer Umwelt, beiden Kausalbeziehungen soweit nachzugehen, als notwendig ist, um die Vergleichs punkte mit der weiterhin zu analysierenden okzidentalen Entwicklung zu finden».
Weber schrieb diesen Text nicht mehr an seinem Schreibtisch in Heidelberg, sondern bereits in München. Dass es in der bayerischen Haupt- und Residenzstadt schon bald auf das Ende seines Lebens und wissenschaftlichen Arbeitens zugehen sollte, konnte niemand wissen. Er selbst ging nicht davon aus, ganz im Gegenteil, für ihn hatte eine neue, hoffnungsvolle Phase seines Lebens begonnen. Die Protestantismus-Studien lagen lange hinter ihm, seine Exkursionen in die chinesischen, indischen und vorderasiatischen Kulturzusammenhänge hatte er gedanklich abgeschlossen. Wer den Weg seiner Fragestellungen und die Ergebnisse, zu denen diese führten, als Ganzes vor Augen hat, erkennt, dass hier ein Wissenschaftler zu einem Gesamtbild gelangt war, das «nur noch» niedergeschrieben werden musste. Seine Sicht der okzidentalen Kulturentwicklung als Endpunkt einer universalen Rationalisierung aller Lebensbereiche war das Ergebnis aller Stationen seines Lebens und seines Werkes. Es war ein langwieriger und keineswegs zielstrebiger Weg gewesen, an dessen Ende Weber nun – im postrevolutionären München –diese Vorbemerkung schrieb. Es ist, als wenn er plötzlich die Steine eines puzzleartigen Mosaiks zusammenfügt, als ob alles, was er bis dahin behandelt hatte, seinen adäquaten Platz gefunden hatte. Diese abgeklärte Sicht mag insgesamt auch damit zusammenhängen, dass Weber zu diesem Zeitpunkt in zweierlei Hinsicht
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