Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Max Weber (German Edition)

Max Weber (German Edition)

Titel: Max Weber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kaesler
Vom Netzwerk:
«Unsachlichkeit», «Verantwortungslosigkeit» sowie das Streben nach Macht allein um ihrer selbst willen sind es, weswegen Weber sich entschieden gegen den «bloßen Machtpolitiker» aussprach. Von diesen an die Handelnden in der Politik gerichteten Überlegungen ausgehend, wandte er sich dem prinzipiellen Verhältnis von Ethik und Politik zu, vor allem den ethischen Grundlagen und der Machtbezogenheit des politischen Handelns allgemein. Als Ausgangsüberlegung postulierte er eine prinzipielle Grundverschiedenheit zweier Orientierungen des politischen Handelns: Es könne «gesinnungsethisch» oder «verantwortungsethisch» sein. Die Konstruktion eines angeblich «abgrundtiefen Gegensatzes» richtete sich primär gegen die pazifistische und revolutionäre «Gesinnungspolitik», wie sie zum Zeitpunkt der Rede in Teilen der deutschen Öffentlichkeit, insbesondere der Studentenschaft, weit verbreitet war, aber zugleich auch gegen die verschiedenen Varianten gesinnungsloser «Realpolitik» und reiner Machtpolitik eines «politischen Realismus». Diese Passagen der Rede zielten darauf ab, die Berufspolitik als verantwortungsethisches Handeln zu legitimieren, bei dem keineswegs jedes Mittel den Zweck «heilige». Es sei zwar Tatsache, dass jeder, der sich auf Politik einlasse – und damit auf Macht und Gewaltsamkeit –, mit «diabolischen Mächten» einen Pakt schließe. Gerade darum müsse es aber zu einer Synthese beider Ethiken kommen: «Insofern sind Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht absolute Gegensätze, sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den ‹Beruf zur Politik› haben kann .»
    Die Wucht und sprachliche Dramatik von Politik als Beruf bewirkten, dass einzelne Passagen bis zum heutigen Tag im «Stammbuch» vieler Politiker und in der medialen Berichterstattung über Politik geradezu gebetsmühlenartig wiederholt werden. Die Unterscheidung eines Lebens «für» die Politik von dem eines «von» der Politik, das Begriffspaar «gesinnungsethisch» versus «verantwortungsethisch» und das Bild von der Politik als einem «starken langsamen Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß» sind Versatzstücke eines allgemeinen Trivialgeredes über Politik und Politiker geworden, ohne dass ein sonderlich informierter Bezug auf das Gesamtwerk Max Webers und dessen Kontext zu verzeichnen ist, manchmal sogar ohne jeden Bezug auf den ursprünglichen Autor. Die bis heute folgenschwerste Wirkung dieses Textes ist, dass sie als ideologische Legitimation einer radikalen Abwertung der ursprünglich mit dem Namen Immanuel Kants verbundenen «Gesinnungsethik» und einer ebenso radikalen Aufwertung der «Verantwortungsethik», verkürzt auf eine «Erfolgsethik», missbraucht wird.
    Heute, bald 10. Jahre nach jenem kalten Abend in München-Schwabing, bestimmt gerade der Text dieser Rede die Erinnerung an Max Weber sowohl wegen der dort verwandten Begrifflichkeit als auch wegen seiner düsteren, unheilvollen Prophezeiungen. Mit Blick auf die ihn umgebenden Umstände der revolutionären Umwälzungen im aufgewühlten «Freistaat Bayern» kann man diese Rede über Politik als Beruf auch als das Testament eines Wissenschaftlers betrachten, der sein Leben lang ein enges, fast symbiotisches Verhältnis zur Politik gepflegt hatte, aber nie erreichen konnte, was er als Aufgabe des Politikers charakterisiert hatte, nämlich «seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen».
    Die Tragik wurde noch gesteigert durch die düstere Unheilsperspektive, die der 55-Jährige seiner Zuhörerschaft zumutete. Er lud die «verehrten Anwesenden» dazu ein, mit ihm darüber nach zehn Jahren wieder zu sprechen: «Nicht das Blühen des Sommers liegt vor uns, sondern zunächst eine Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte […] Wenn diese Nacht langsam weichen wird, wer wird dann von denen noch leben, deren Lenz jetzt scheinbar so üppig geblüht hat? Und was wird aus Ihnen allen dann innerlich geworden sein? Verbitterung oder Banausentum, einfaches stumpfes Hinnehmen der Welt und des Berufes oder, das dritte und nicht Seltenste: mystische Weltflucht […] In jedem solchen Fall werde ich die Konsequenz ziehen: die sind ihrem eigenen Tun nicht gewachsen gewesen, nicht gewachsen auch der Welt, so wie sie wirklich ist, und ihrem Alltag: sie haben den Beruf zur Politik, den sie für sich in sich glaubten, objektiv und tatsächlich im innerlichsten Sinn nicht gehabt. […]

Weitere Kostenlose Bücher