Maya und der Mammutstein
unmöglich zu sein. Wo immer sie hinging, da war auch er, schweigend, aber lächelnd, und gelegentlich berührte er sie wie zufällig, wenn sie gemeinsam einen Weg entlanggingen. Immer war er da, und sie wünschte sich so sehnlich, seine Hand wieder zu halten, wieder mit ihm zu reden.
Was wußte Alter Zauber schon? Sie konnte immer noch nicht alles glauben, was sie gehört hatte - und jetzt, nach drei Tagen des Grübeins, war der Felsbrocken immer noch da, groß und schwarz und unverdaulich wie zuvor. Sie, auf die wir gewartet haben? Was hatte das zu bedeuten?
Sie fühlte sich nicht wie die Große Mutter (wie auch immer die sich fühlen mochte), und Zaubers verzweifelter Versuch, sie verstehen zu machen, hatte sie sich nur noch winziger und schwächer und hilfloser fühlen lassen.
Ich will nicht Schamanin werden, dachte sie mit einemmal. Ich will diese Verantwortung nicht tragen.
Alles, was ich will, kam es ihr plötzlich zu ihrem Erstaunen in den Sinn, ist jemand, der mich liebt.
»Geist?« fragte sie leise.
»Mmm?«
»Kann ich dir etwas erzählen?«
Er wandte sich ihr zu und sah ihr ins Gesicht. Er trug nur Beinlinge und einen bis zur Taille reichenden Überwurf, der über der Brust offenstand.
Ihr fiel auf, wie stark, aber schlank seine Brust war, so anders als die bulligen, fettgepolsterten der anderen Männer.
Er ist anders, dachte sie. Wie ich...
»Natürlich«, gab er zur Antwort. Seine Stimme war beruhigend. Sie schien sich nahtlos in die Hintergrundgeräusche aus dem Summen von Insekten und dem leisen Plätschern des Wassers auf das Ufer und dem Zischen und Schäumen des Schlamms einzufügen.
Er lächelte sie an.
Sie faßte einen Entschluß. Das Geheimnis war zu groß. Sie mußte es mit jemandem teilen, und es gab nur einen, der das würde verstehen können, der ihr die schrecklich schwere Bürde würde tragen helfen können, die Zauber auf ihre Schultern gewälzt hatte. Sie biß sich auf die Unterlippe.
Und dann sagte sie: »Zauber hat mir erzählt, daß einst, vor langer, langer Zeit...«
Und Geist nickte aufmunternd und lächelte weiterhin, als sie zu erzählen begann, mit der Floskel, die für alle Zeiten Überlie ferungen einleitete und einleiten würde - Es war einmal -, die älteste Geschichte aller Zeiten, die Erzählung vom Geschenk der Götter.
Als sie fertig war, ihre Stimme zu wenig mehr als einem Flüstern herabgesunken, wandte sie das Gesicht ab, als fürchte sie, was er sagen könnte. (Hasse mich nicht dafür, Geist.) Zärtlich legte er ihr die Hand auf die Schulter.
»Mach dir keine Sorgen, kleine Maya«, erwiderte er. »Es ist alles gut, mach dir nur keine Sorgen. Alles wird gut werden.«
Und er lächelte.
Nachdem Maya ins Geisterhaus zurückgegangen war, suchte auch Geist sein Haus auf. Seine Muskeln zitterten von der Anstrengung, seine Wut zu beherrschen; er war nahe daran gewesen, doch er hatte es^ geschafft, seine langen Finger nicht um ihren schlanken Hals zu legen und zuzudrücken, bis die Knorpel und kleinen Knöchelchen wie brechende Äste unter seinen Händen zerknackten.
Statt dessen hatte er weitergelächelt, immer weitergelächelt, bis er das Gefühl gehabt hatte, unsichtbare Finger zögen seine Gesichtshaut zu Fratzen, die nicht für ein menschliches Antlitz bestimmt waren.
Es war das Schwerste, was er jemals vollbracht hatte, schwerer, als es gewesen war, die Beleidigungen und Qualen seiner Kindheit zu ertragen, schwerer zu ertragen als die leeren stummen Löcher, die sein Innerstes ausmachten, wenn Siedieerhaßte seinen Geist erfüllte und ihn ritt wie ein Tier. An einem bestimmten Punkt ihres Gesprächs hatte er gedacht, in einen dieser Abgründe zu fallen, und hatte sich nur durch pure, zäh-neknirschende Willensanstrengung zurückgehalten.
Er riß sich den Umhang vom Leib und zerkratzte sich die Brust mit den Fingernägeln, bis lange, tröpfelnde Blutfäden seine Rippen überzogen.
Die Augen traten aus ihren Höhlen, und seine Kiefermuskeln mahlten aufeinander, entließen erstickte, geknebelte Laute aus seinem geschwollenen Mund.
Nach einer gewissen Zeit verebbte der Wutanfall, und nur noch kalter Wahnsinn blieb zurück. Wenigstens konnte er jetzt wieder nachdenken.
Also hat der alte Narr eiskalt geplant, mich aus dem Weg zu räumen.
Er hatte geahnt, daß Alter Zauber etwas gegen ihn im Schilde führte, doch nichts von dieser Tragweite. Nicht nach all dieser Zeit. Und das Mädchen, das er um ein Haar getötet hätte, sollte seine Nachfolgerin
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