Maya und der Mammutstein
endlosen Steppe. Ein schwacher, beißender Wind blies über die Spitzen des silbriggrünen Grases, zerrte an seinem Überwurf, schliff über seine Wangen. Ihm war, als riefen ihm Stimmen aus dem Wind etwas zu, und vielleicht war dem wirklich so. Die Geister lebten in den Lüften. Dort wandelte auch er, der über alles regierte.
Frühlingsblüte.
Ein Schauer durchfuhr ihn. Vielleicht sollte er jagen. Irgend etwas tun, um die schrecklichen Erinnerungen an das Opfer aus seinem Gedächtnis zu tilgen. Plötzlich erschien ihm der Gedanke an frische Windböen, leere Horizonte, die Konzentration des Anschleichens - ja selbst an den Speerwurf und das Blut - ungeheuer anziehend. Er zuckte mit den massiven Schultern.
»Nun gut«, sagte er. »Ich werde jagen.«
»Gut«, erwiderte Ratte.
Dann bereiteten auch sie sich vor.
Das Grüne Tal
Maya behielt das Geheimnis drei ganze Tage lang für sich, bevor sie es Geist weitere rzählte. Sie hatte es eigentlich nicht gewollt - nicht richtig.
Es rutschte ihr einfach so heraus.
Als sie drei Tage zuvor aus dem Geisterhaus getaqmelt war, hatte Geist sie mit Augen beobachtet, die so völlig leer gewesen waren wie die gewaltigen Gletschermassen im Norden. Er hatte sich gefragt, was sie wohl so erregt haben mochte, und hatte dann schon geglaubt, es zu wissen. Geist war ein guter Menschenkenner - obwohl er von ihnen nie als Wesen seiner Art dachte, wodurch er jedoch auch in der Lage war, sie so leidenschaftslos zu studieren wie einen merkwürdigen Felsblock oder irgendein emsig umherkrabbelndes Tier, das er zum erstenmal sah. Und als er beobachtete, wie sie blind einen Pfad zum Ersten See hinunter schwankte, wußte er, daß ihr etwas von großer Tragweite widerfahren war. Das wahrscheinlichste war, daß sie Altem Zauber von ihrem neugewonnenen Freund berichtet hatte.
Geist hegte keine Illusionen in bezug auf Alten Zauber - er vermutete, daß der alte Schamane auf der Stelle alles daransetzen werde, die gerade erst geknüpften, zarten Bande zwischen den beiden jungen Menschen zu zerreißen. Geist wußte nicht genau, warum Alter Zauber so auf der Hut vor ihm war, doch er wußte, wann dieses Mißtrauen begonnen hatte, und wieder einmal bedauerte er, daß er es nicht vermocht hatte, Mayas Leben gleich am Anfang mit einem einfachen Stoß jenes Speers, den er an besagtem Tag bei sich getragen hatte, ein für allemal ein Ende zu setzen.
Und dennoch, vielleicht, weil er sei eigenes, geheimes Leben abseits der alltäglichen Welt des Volkes hatte, erblickte er Dinge, die Alter Zauber nicht bemerkt hatte. Er erkannte Maya als die junge Frau, die sie war, allein, einsam, nach eben den Freunden und Kameraden und nach eben der Anerkennung dürstend, nach der es Geist so sehnlich verlangt hatte, damals in den langen vergangenen Tagen seiner freudlosen Jugend.
Er hatte damals gelitten, und genau so, vermutete er, litt sie jetzt, fühlte sich schwach und verwundbar. Zauber mochte sie unterweisen, sie vieles lehren, doch er konnte nicht ihr Freund sein, nicht so, wie sie es sich wünschte. Aber Geist konnte es, und er hatte auch gelernt, so zu lächeln, daß sich andere nicht schaudernd davor abwandten. Er hielt seine Maske für nahezu perfekt; nicht makellos, das nicht, aber doch gut genug.
Gut genug, um ein verängstigtes, einsames Mädchen zu täuschen.
Also erhob er sich von seinem Platz und folgte ihr, und nach einer Weile hatte er sie eingeholt.
»Geist, ich kann nicht mehr mit dir reden!« sagte sie. Er nickte und lächelte und klopfte ihr auf die Schulter und meinte: »Nun gut, aber du kannst doch wohl mit mir Spazierengehen, oder? Schließlich bin ich dein Freund. Freunde müssen nicht immer miteinander reden.«
Mayas Gedanken waren in Aufruhr. Zauber hatte sich nur allzu deutlich ausgedrückt: Dieser lächelnde junge Mann, der ihr Freund zu sein wünschte, konnte ihr Feind werden. Der alte Schamane hatte ihr eröffnet, daß sie sein Nachfolger sein würde, nicht dieser hier. Und er hatte ihr auch nicht verschwiegen, daß das Geist kaum gefallen dürfte, daß er dann möglicherweise nicht länger ihr Freund würde sein wollen. Sie konnte das in einer vagen, verschwommenen Weise verstehen; sie verglich es mit der Vorstellung, daß ihr irgend jemand eins ihrer kostbaren wenigen Besitztümer stehlen würde - den glänzenden blauen Stein, den Beere ihr einmal geschenkt hatte, oder den perfekten weißen Rattenschädel, den Zauber so lange poliert hatte, bis er glänzte wie der Mond. Wenn
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