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Maya und der Mammutstein

Maya und der Mammutstein

Titel: Maya und der Mammutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Allan
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an die Wanderung erinnern. Er fühlte sich erhaben. Obwohl er beinahe einen ganzen Tag lang nichts gegessen hatte, protestierte sein leerer Magen nicht, und wenn er auch in der Gluthitze der Sonne vor sich hin schwitzte, so verschwendete er doch keinen Ge danken daran zu bereuen, keinen Tonkrug Wasser mitgenommen zu haben.
    In gleißendem Licht erreichte er den Fluß, ein schmales, bräunliches Band, das sich fast in der endlosen, sanfthügeligen Weite der Steppe verlor, und hielt am Rand des Einschnitts an, der zum Ufer hinabführte.
    Er hatte hier schon große Tiere herbeigesungen, hatte viel blutiges Schlachten von der Spitze seines Geisterpfahls aus gesehen. Manchmal wollte es ihm scheinen, als lebe er nur richtig, wenn er, den Wind im Gesicht, von der Spitze dieses Pfahls hinabhing, Lieder der Macht sang und die großen Bisons in ihr Verderben lockte. Doch auch das wird bald zu Ende sein, fuhr es ihm durch den Kopf. Ihr Zauber baumelte nun an seiner Hüfte, machte seine letzte Reise - eine Reise weg aus dem Herzen des Volkes, eine Reise hin zu...
    ... ja wohin denn?
    Er blieb einen Moment am Rande des Einschnitts stehen und starrte auf das träge dahinströmende Wasser des Flusses hinab. Es sah glatt und kraftvoll aus, wie eine riesige, durchscheinende Schlange, endlos, ohne Kopf oder Schwanz, nur ein Körper. Der Körper der Schlange, ging es ihm durch den Kopf, und kurzfristig lahmte ihn die Macht des Gedankens.
    Wirf ihn hinein. Werde ihn für immer und ewig los!
    Er leckte sich über die Lippen. Der Fluß stürzte mit dump fem, ersticktem Donnern durch sein felsiges Bett. Kleine glitzernde Gischttröpfchen stoben von den zerklüfteten Felsen auf, die wie abgebrochene Zahnstummel am Ufer des Stroms aufragten. Die einzigen Laute waren die des Wassers.
    Er machte einen Schritt voran. Eingetrocknete Schlammbröckchen blätterten unter seinen Füßen ab, kugelten den steilen Abhang hinunter.
    Wirf ihn hinein!
    Seine Sicht verschwamm. Einen kurzen Moment lang erblickte er zwei Flüsse, von denen einer neben dem anderen einherströmte. Doch der eine war rot und sah aus wie von Blut. Die Ufer jenes Flusses bildeten Knochen, riesige, zerstreute Beinhaufen, und für Sekundenbruchteile schien es ihm, als stammten diese Gebeine von Menschen. Hügel weißer, gebleichter Schädel mit leeren, ihn anklagend anglotzenden Augenhöhlen, und unter ihnen Skelettreste, zerbrochen und verstreut, auseinandergezerrte Rippen, Arm- und Beinknochen zermalmt wie unter einem gräßlichen Gewicht.
    Er schüttelte den Kopf. Ein leises Beben stieg in seinem Rücken auf, und einen kurzen Moment lang dachte er schon, sie wolle ihn wieder reiten, gleich hier am Flußufer. Dann ging der Schwindelanfall vorüber, als habe er nie existiert. Geist blinzelte.
    Eine Vision, zweifellos. Geist fürchtete sich nicht vor Visio nen. Seine Träume waren noch weit schrecklicher gewesen als diese Vision von Bein und Blut. Er träumte von einer absoluten Leere, vom Verlust seines Körpers, von den endlosen Wanderungen der Geister. Wirf ihn ins Wasser! Er seufzte.
    Visionen waren ihm für gewöhnlich keine große Hilfe. Die Visionen jedenfalls, die er im Wachzustand hatte. Sie waren ihm Rätsel, die viele Worte zu machen schienen, ohne doch etwas zu sagen. Wie wahr. Er hatte also einen Fluß aus Blut gesehen, der zwischen knöchernen Ufern einherströmte. Was hatte das zu bedeuten? Woher war diese Vision gekommen?
    Was hatte sie ihm geschickt? Wessen Blut? Wessen Knochen?
    Die Geister spielten wie üblich ihre Spielchen mit ihm. Er machte noch einen Schritt voran, und sein Päckchen schlug sachte gegen die Stelle, wo sein Oberschenkelknochen auf das Becken traf. Seltsam. Wieder fühlte sich der Mammutstein schwer an, als wolle er ihn hinabziehen. Hinab in das zischende, hungrige Wasser. Hinab zu den Gebeinen. Hinab zum Blut.
    Wie hypnotisiert ging er vorwärts, den Blick der verschleierten Augen auf den Fluß gerichtet. Dessen tiefes, donnerndes Dröhnen tönte in seinen Ohren, lauter gar als das seufzende Ächzen der Eiswand im Norden.
    Schließlich erreichte er das Ufer unten im Tal - seine Füße machten scharfe Saug- und Schmatzgeräusche in dem Schlamm dort unten - und setzte sich wieder in Bewegung.
    Hielt inne.
    Fußabdrücke?
    Viele, und manche waren immer noch halb mit Wasser gefüllt. Also ganz frisch. Und nicht von jemandem seines Volkes.
    Ein unheilvoller Schauer zuckte seinen Hals hinauf in den Schädel. Das waren die anderen... und plötzlich

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