Maya und der Mammutstein
erkannte er die Bedeutung der Vision.
Er warf einen schnellen Blick nach rechts, wo ein Haufen großer Knochen den Friedhof von Mammut, Bison, ja gar Karibu bezeichnete. Manche waren auf natürliche Weise verendet, andere hatte er selbst in den Tod gesungen. Die von Zeit und Zähnen sauber abgenagten Gebeine funkelten im gleißenden Sonnenlicht.
Das Sonnenlicht, das nun seinen Schädel ausfüllte.
Fußabdrücke. Flußabwärts weisend.
Das Lager jedoch, das Speer erspäht hatte, lag flußaufwärts.
Dann würden die Fremden also zurückkommen.
Und dann...?
Er lächelte.
Der Mammutstein schien in seinem Beutel zu hüpfen wie ein zu Tode geängstigter Hase. Sein Gewicht zog seine Schulter zu Boden, doch er ignorierte das Gefühl. Er bückte sich und begann, Steine einzusammeln.
Er brauchte nur wenige Minuten, um einen oben abgeflachten Hügel zu errichten, der ihm knapp bis an die Knie reichte.
Als er fertig war, blickte er auf das kleine Monument hinab. schien ihm angemessen zu sein, und kein Wanderer, der hier entlangzog, würde es übersehen können. Mit langsamen Bewe gungen (er konnte hören, wie seine Knochen gegeneinanderglitten, konnte das Knirschen seiner Knorpel hören, das Rauschen des Blutes in seinen Adern) nahm er den Beutel von seiner Schulter. Er legte ihn ab, öffnete ihn und nahm das in Leder gewickelte Päckchen, vor Anstrengung keuchend - der Stein war nun schwer, so schwer - heraus. Er plazierte es auf die Spitze des Steinhaufens, und während er das tat, übertönte in der Ferne ein langes Trompeten das Tosen des Flusses.
Geist schaute abrupt auf. Seine Augen fühlten sich an, als stünden sie in Flammen. Mammut. Hinter der gegenüberliegenden Uferbank, unsichtbar für ihn. Der Schrei des Giganten, zornig und siegesgewiß.
Keine Angst mehr, dachte er wild. Nie wieder! Das fest eingepackte Bündel glitzerte in der Mittagssonne, und jeder Fellstreifen schien das Licht aufzusaugen und es hundertfach zurückzuwerfen. Es wurde so grell, daß Geist nicht länger hinsehen konnte. Er wandte sich um und machte sich den Pfad hinauf auf den Rückweg. Einmal rutschten seine Füße auf dem glatten Untergrund aus, doch er bemerkte es nicht.
Schließlich erreichte er den Gipfel des Einschnitts, und eine frische Windbö, die sich von Osten erhob, peitschte ihm ins Gesicht. Sie war kalt und trug Feuchtigkeit mit sich. Viele Meilen entfernt, an der sanft geschwungenen Halbkugel des Horizonts, zogen dunkelgraue Wolken auf. Sturm, dachte er. Muß mich beeilen. Er entfernte sich vom Fluß, hastete in die hügelige Ödnis der Steppe. Er blickte nicht zurück. Dort war ohnehin nichts. Jedenfalls nichts, was er hätte sehen wollen.
Nachdem er gegangen war, in der Ferne zu einem winzigen nadelkopfgroßen Punkt geschrumpft und schließlich ganz verschwunden, zischte der Fluß immer noch zornig wie eine gigantische Schlange, die um ihre Beute betrogen worden war. Das kleine Bündel wartete immer noch still auf seinem Steinhaufen darauf, welches Schicksal es wohl ereilen mochte.
Schnelle Schlange gelangte als erster an die Stelle am Fluß, die er bei sich den >Ort der Gebeine< getauft hatte. Er erreichte den im Schatten liegenden Rand der Senke; die langen schräg einfallenden Strahlen der Sonne, die als orangeroter Feuerball im VVesten versank, ließen seine Silhouette schwarz hervortreten. Er sah in den Sonnenuntergang, und eine Weile mußte er die Augen zusammenkneifen, um den Weg hinunter ausmachen zu können.
Seine Nasenflügel bebten empfindlich. Zu spät, dachte er, hier ist Wild gewesen, aber es ist wieder weg. Dann erstarrte er, und sein Kopf fuhr hoch wie der eines verschreckten Fuchses. Er reckte den Schädel so hoch wie möglich nach oben, hielt inne und begann dann, ihn langsam kreisen zu lassen. Er schloß die Augen, sowohl das intakte wie auch das verletzte, obwohl das Lid über seinem blinden Auge den in sich zusam-mengefallenen Augapfel nur teilweise bedeckte.
Schlange war auf dem einen Auge blind und kurzsichtig auf dem anderen.
Das Mißgeschick, das ihn geblendet und entstellt hatte - ein Sturz, denn selbst als Kind, das noch beide Augen besaß, war er schon ungeschickt gewesen -, hatte sich früh genug ereignet, so daß seine anderen Talente sich noch voll hatten entfalten können. Er verstand nicht, warum nicht jeder das tun konnte, was er zu leisten vermochte. Zuerst hatte er es für völlig belanglos gehalten, daß er ein Blatt schmecken konnte oder einen Grashalm, daß er Hunderte, ja
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