Maya und der Mammutstein
des Geheimnisses. Er wußte, wer Maya war, und warum er sie haben mußte. Sie war Siedieerhaßte, ihrer Macht beraubt, und er mußte dafür sorgen, daß das so blieb. Doch sie war ihm entkommen. Er spürte eine kleine Woge des Schreckens - war das Zufall? Oder war die schreckliche Mutter wieder am Werk und schmiedete Pläne gegen ihn?
Doch nichts davon durfte er Speer sagen. Das Geheimnis mußte gewahrt bleiben. Fast hätte er einen Anflug von Mitgefühl ob der Qualen verspürt, die Alter Zauber durchlitten haben mußte, als ihm noch die Wahrung des schweren Erbes oblegen hatte.
Er zwang sich dazu, seine Stimme ruhig und besonnen klingen zu lassen.
»Speer«, sagte er. »Maya war in der Tat von einem bösen Geist besessen.
Doch ich bin der Schamane, und ich weiß, wie man mit diesen Dingen umgeht. Du hast sie gesehen?«
Speer nickte trotzig.
»Geister müssen ausgetrieben werden. Damit war ich gerade befaßt.«
Speer erinnerte sich an Mayas Blut, an die schreckenerregenden Blutergüsse, den seltsam verdreht herabbaumelnden Arm und erbebte.
Wäre er ein böser Geist gewesen, hätte er einen solcherart geschundenen Körper wohl längst verlassen. »Ja«, sagte er.
»Also gut«, Geist straffte sich. »Ich war noch nicht fertig mit ihr. Ohne Zweifel hat der böse Geist ihr zur Flucht verhelfen. Jetzt ist er irgendwo da draußen. Wir müssen sie finden, einfangen und wieder zurückbringen, so daß ich meine Arbeit zu Ende führen und diese große Bedrohung für das Volk ein für allemal beseitigen kann. Verstehst du mich?«
Zögernd nickte Speer. Er verstand, gleichgültig, wie groß der Widerwille war, den er dagegen verspürte, das verfluchte Mädchen zurückzubringen.
»Gut«, meinte Geist, und wieder lächelte er. »Kannst du die Männer zusammenrufen? Sie dürfte nicht schwer zu finden sein. In ihrem Zustand kann sie nicht weit kommen.«
Wieder nickte Speer. Nein, weit konnte sie nicht gekommen sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach war sie inzwischen schon tot. Der Gedanke mißfiel ihm keineswegs. Ja, das war die wahrscheinlichste Lösung; und wenn sie ihren leblosen Körper fanden, würde Geist vielleicht auch zufrieden sein. Speer mochte die Art, wie der Schamane ihn anlächelte, ganz und gar nicht. Hinter seinen dunklen Augen brannte ein Fieber, und seine Zähne schienen zu groß zu sein.
»Ich rufe Haut. Und Wolf«, entschied er. »Das sollte genügen.«
»Einverstanden. Beeilt euch«, sagte Geist und schwieg dann eine Weile.
»Aber wartet auf mich. Ich werde mit euch kommen.«
Die ersten Sterne gingen auf, als sie mit weitausgreifenden Schritten den Pfad hinuntereilten. Doch sie fanden sie nicht. Nicht in jener Nacht.
Lange Zeit nicht. Und als sie sie fanden, hatte sich viel verändert.
KAPITEL SIEBZEHN
Flußlager des Bisonvolks: 17982 v. Chr.
Der Frühling setzte in diesem Jahr zeitig ein. Ende des vierten Mondes brach die Eisdecke des Flusses mit lautem, dröhnendem Krachen auf, verstopfte die dahinstürzenden Wasser mit gezackten Eisbergen, von denen hohe weiße Gischtfontänen in den Himmel stiegen.
Karibu führte eine Gruppe von Jägern aus dem Lager und kehrte drei Tage später zurück. Sie brachten das Fleisch reicher Beute mit, die sie nur einen Halbtagesmarsch weit entfernt auf der anderen Flußseite erlegt hatten. Die Frauen waren ihnen entgegengegangen und nahmen frohen Herzens genug Nahrung in Empfang, um das Bisonvolk für viele Tage, mehr als zweimal die Finger jeder Hand, zu ernähren.
Die Zeichen standen günstig, auch wenn es anfangs nicht so ausgesehen hatte. Als sie das erste Mal von ihrem Erkundungszug aus dem Grünen Tal zurückgekehrt waren, hatte Karibu gefürchtet, daß dem Bisonvolk Schreckliches bevorstünde, doch dem war nicht so gewesen.
Es hatte Zeichen gegeben, und das erste schlechte hatte darin bestanden, daß sie Eichhörnchen in der Dunkelheit im Kampf mit Mutter Löwe verloren hatten. Als sie sein Fehlen bemerkt hatten, war es bereits zu spät gewesen, umzukehren und ihn zu suchen. Das zweite schlechte Omen war die Frau selbst gewesen. Karibu hatte schon befürchtet, sie werde sterben
- im unbarmherzigen Tageslicht hatten ihre Verletzungen sich als wahrhaft grauenvoll erwiesen. Sie war immer wieder ohnmächtig geworden, als Gebrochene Faust ihren zerschmetterten Arm gerichtet und ihre Wunden mit magischem Balsam gesalbt hatte. Karibu hatte eigenhändig ihr Schultergelenk mit einem einzigen heftigen Ruck wieder eingerenkt - da hatte die Frau erneut das
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