Maya und der Mammutstein
behaglich und bequem. Karibu hielt diesen für einen der besten Winter, an die er sich erinnern konnte, und allmählich schwand das Gefühl drohenden Unheils.
Nun, da milde Frühlingswinde ihm den Geruch grünen Gra ses in die Nase trugen, wandten sich seine Gedanken seiner und ihrer Zukunft zu. Er vermutete, daß sie bald weiterziehen würden - die wenigen Sommermonate waren die beste Zeit für die Wanderung -, und obwohl ein Teil von ihm bereute, das Rätsel des Grünen Tals ungelöst zurücklassen zu müssen, freute sich doch ein anderer Teil seines Wesens auf den Marsch, auf die lange Jagd, auf die unbekannten Orte und Anblicke.
Außerdem hatte Mayas Leib sich zu runden begonnen, wenn auch nicht viel. Es würde noch viele Tage dauern, bis sie ihr Kind gebären würde, und er vermutete, daß das Volk dann schon längst ein neues Winterlager errichtet haben würde.
Sobald Mayas Gesundheit wiederhergestellt gewesen war, hatte Karibu sie natürlich genommen. Sie hatte sich weder gewehrt noch protestiert, sich nur in stumpfer Ergebung in ihr Schicksal gefügt. Später jedoch war aus dem Erdulden Vergnügen geworden, so hatte es zumindest den Anschein. Sie hatte auf seine Lust geantwortet, zunächst sehr zaghaft, dann mit mehr Inbrunst.
Nun wuchs also ein Kind in ihrem Leib heran, und sie wußte es. Die anderen Frauen hatten erkannt, daß ihr Wissen auf diesem Gebiet äußerst lückenhaft war, und hatten sich mit Begeisterung in die Aufgabe gestürzt, diese Lücken zu stopfen - nicht einmal die Anfälle morgendlicher Übelkeit, wenn sie sich plötzlich übergeben mußte, machten Maya daher noch große Sorgen.
Maya blickte von ihrer Näharbeit auf und merkte, daß Karibu sie ansah, ein Lächeln auf den Lippen. Sie lächelte zurück. Bei Karibu fühlte sie sich wohl. Ja, bei ihm zu sein machte sie richtig glücklich, und an dieses Gefühl konnte sie sich nur äußerst schwer gewöhnen.
Sie hatte nicht die geringste Vorstellung, wie sie zum Volk der Bisons gestoßen war, abgesehen von dem, was Karibu ihr erzählt hatte. In ihrem Gedächtnis waren große schwarze Löcher. Das letzte, woran die sich noch klar und deutlich erin nerte, war Alter Zauber, obwohl sie die vage Befürchtung hatte, daß der alte Schamane nicht mehr unter den Lebenden weilte. Sie erinnerte sich nicht mehr an seinen Tod, und selbst die Existenz von Geist war so vollständig aus ihrem Gedächtnis getilgt, als hätte es ihn nie gegeben.
Ohne daß es ihr bewußt gewesen wäre, war fast ihr gesamtes elendes, altes Leben allmählich von ihr abgefallen. Gelegentlich stiegen Erinnerungsfetzen an Wolf, an Knospe oder Blüte, an die Menschen also, die sie geliebt hatte, in ihr Bewußtsein auf, doch es waren nur zusammenhanglose Bruchstücke. Es störte sie nicht. Ohne Vergangenheit war sie gezwungen, ganz in der Gegenwart zu leben, und ihr neues Leben gefiel ihr.
Die anderen Frauen behandelten sie gut. Verschwommen begriff sie, daß das etwas völlig Neues für sie war, doch den Grund dafür kannte sie nicht. Und so akzeptierte sie ihre Freundschaft als selbstverständlich, wie auch alle anderen es taten.
Nur in ihren Träumen, aus denen sie manchmal nachts mit erstickten Schreien erwachte, ahnte sie noch etwas von der dunklen Einsamkeit, die ihr vorheriges Leben bestimmt hatte. Doch mit dem Tageslicht verblaßten auch jene undeutlichen Schrecken, und mit der Zeit wurden auch die Träume immer seltener.
»Karibu«, sagte sie. »Du brauchst einen neuen Umhang.« Sie hielt das abgetragene Kleidungsstück in die Höhe und schwenkte es leicht hin und her. »Sieh nur. Es besteht nur noch aus Flicken. Das werde ich bald nicht mehr ausbessern können.«
»Ich mag ihn aber«, entgegnete er. Er ging zu ihr und hockte sich neben sie hin, und ein winziges Lächeln glitt über seinen kantigen Züge. »Willst du denn einen neuen machen?«
Sie zuckte die Schultern. »Wenn du mir die Felle dafür bringst...«
Er nickte. »Die Karibus werden schon bald weiterziehen. Sie werfen jetzt ihre Kälber, und wenn die Jungen alt genug sind, sammeln sich die großen Herden.« Er hob den Kopf und blickte über den Fluß hinweg auf die weiten wogenden Weiten frischen grünen Grases. »Dann werden auch wir diesen Ort verlassen - um den Herden zu folgen. Karibu und Bison.
Hast du sie jemals gesehen, Maya?«
Sie blickte auf ihn hinunter. Seine massigen Schultern waren nach vorne gebeugt, die starken Unterarme um seine Knie geschlungen. Er sah immer noch auf die Steppe
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