Maya und der Mammutstein
seines Volkes den Fuß auf den Boden des Grünen Tals zu setzen und dem ins Auge zu blicken, was ihn dort erwarten mochte.
Wenn denn die Geister es gestatten sollten.
Doch selbst fremdartige Geister, so sprach er sich Mut zu, müssen sich der Großen Mutter und ihrem Willen beugen. .
Er trat in den Wald, hielt nur kurz inne, um seine Hand über die moosbewachsenen, zerfurchten Oberflächen der Baumstämme gleiten zu lassen. Doch nichts sprach zu ihm zu diesem Zeitpunkt, und so setzte er, immer noch ängstlich, aber von wachsender Hoffnung erfüllt, seinen Weg in die Stille unter den Baumriesen fort. l Oben vom Klippenrand aus hatte er etwas weit vorne ausgemacht, das er sich näher ansehen wollte.
Wenn die Geister an l irgendeinem Ort weilen würden, dann dort.
»Aieeee!«
Ein Gebet an die Große Mutter auf den Lippen, in dem sie 3 ihr für ihre zahllosen Gaben dankte, hatte Alte Beere sich schlafen gelegt. Mit vierzig Jahren war sie die älteste von den Frauen i des Volkes. Mit ihrem Wissen über die Gräser und Nagetiere, über das Kochen und die Pflanzen war sie Altem Zauber beinahe ebenbürtig. Und tatsächlich besprach sich der alte Schamane oft mit ihr - sie hatten viel gemeinsam, nicht zuletzt schmerzende Muskeln und brüchige Knochen.
Sie hatte drei Ehemänner und neun Kinder an die Große Mutter zurückgegeben. Und doch zählten noch sechs Angehörige des Volkes zu den Früchten ihres Leibes, und einer von ihnen, Haut, sollte sie bald mit einem Enkelkind beglücken. Das hoffte sie zumindest. Doch der jähe, gequälte Schrei, der sie in der dunklen Stunde vor der Morgendämmerung weckte, erfüllte sie mit Furcht. Sie wußte, was er bedeutete. Fast ohne nachzudenken, sprang sie aus ihrem Bett im Zelt der Frauen und begann den jungen, unverheirateten Frauen, deren schattenhafte, schlafende Gestalten um ihre eigene Bettstatt herum versammelt waren, Befehle zuzuraunzen.
»Steht auf! Aufwachen! Raus aus den Schlaffellen, ihr faulen Mädchen.«
Murrend begannen die Gestalten sich zu rühren. Alte Beere widmete ihnen keine weitere Aufmerksamkeit. In der Dunkelheit fanden ihre tastenden Finger das Bündel, das sie gesucht hatte. Sie hatte in Erwartung des bevorstehenden Ereignisses bereits alles vorbereitet. Nun benötigte sie nur einen kurzen Augenblick, um sich das Bündel mit allem, was sie brauchte, über die Schulter zu werfen.
Sie hielt kurz inne, um einer der immer noch schlafenden Gestalten einen Fußtritt zu versetzen. »Blüte! Steh auf. Hilf den anderen mit den Schirmen!«
Ohne einen Blick zurückzuwerfen, stürzte Alte Beere aus dem Zelt und wandte ihre Schritte Hauts Windschutz zwei Lagerstätten weiter unten zu.
»Aieeee!«
Baums fürchterlicher Schrei ließ Haut aus seinen Schlaffellen auffahren; seine Hand langte unwillkürlich nach dem Speer. Er brauchte ein paar schlaftrunkene Sekunden, um festzustellen, woher Gefahr drohte: keine Tiere, kein Feuer, aber etwas, das er zugleich ersehnte und fürchtete. Die Zeit der Geburt war gekommen!
Er wandte sich um und starrte seine Frau an. Noch ein herzerweichender Schrei entrang sich ihren Lippen, so daß Haut zurückzuckte. Sie bog ihren Rücken mit einemmal durch, hob Leib und Hüften hoch empor, so daß sie aussah, wie die gebogenen Stangen, über die die Zeltfelle gelegt wurden.
Zu hoch! Ihre früheren Geburten waren - ungeachtet ihrer erschütternden Ergebnisse - nie so gewesen.
Zitternd berührte er ihre Stirn. Heiß! Und auch trocken wie brennender Sand. Irgend etwas war ganz und gar nicht in Ord nung. Und er wußte, daß er, wie alle anderen Männer, vollkommen hilflos war, wenn die Große Mutter beschlossen hatte, daß es für die Frau Zeit war, zu gebären.
Er kroch aus der Schlafstatt und taumelte auf seine Füße. Er floh aus dem Unterstand, torkelte unsicher in der Finsternis umher, bis irgend etwas gegen ihn prallte.
»Aus dem Weg!«
»Beere! Baum ... Ich weiß nicht... Sie schreit...«
Alte Beere schob ihn resolut beiseite. In dieser Angelegenheit war sie die Überlegene. Kein Mann durfte sich ihr nun in den Weg stellen.
»Beweg dich!« knurrte sie. »Geh zu den anderen Männern!« Dann wurde ihre Stimme sanfter. »Versuch dir nicht zu viele Sorgen zu machen, mein Sohn.«
Stumm nickte Haut seiner Mutter zu, um dann beiseite zu l treten und sie vorbeizulassen. Sie würdigte ihn keines weiteren Wortes, schob sich nur an ihm vorbei, als existiere er nicht mehr.
»Aaaaaghhhhaa!«
Das Blut in seinen Adern gefror ihm zu Eis,
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