Maya und der Mammutstein
blauen Morgenhimmel, und immer noch hielten die entsetzlichen Schreie aus seinem Unterstand an. Die Ahnung, daß etwa Unheilvolles drohte, verstärkte sich immer mehr; nie zuvor hatte Baum so gelitten, auch nicht bei Geburt seiner zwei toten Söhne. Alter Zauber war fort, und Geist zog es vor, sich nicht blicken zu lassen. Die Anzeichen ließen das Schlimmste befürchten. Selbst die Entdeckung des Grünen Tals erregte ihn nicht mehr. Wer wußte schon, welche Neuigkeiten Alter Zau ber bringen würde? Vielleicht waren die neuen Geister dem Volk feindlich gesonnen, und selbst wenn Baum am Leben bleiben und ihm einen Sohn schenken würde, müßten sie doch möglicherweise weiterziehen.
Plötzlich sagte Stein: »Erinnerst du dich noch daran, als Feuer und Speer in Streit darüber gerieten, wessen Geister mächtiger seien?«
Haut ließ sich auf die Felle zurückfallen. »Ja«, antwortete er und zwang sich, die anderen anzugrinsen. »Die Geschichte ist sehr komisch. Erzähl sie.«
»Ugh! Ughughugh!«
Von Schmerzen und Erschöpfung geschwächt, vermochte Baum nur noch zu grunzen - eine Reihe kurzer, gurgelnder Geräusche, die das Herz von Alter Beere erstarren ließen. Die Haut der jungen Frau fühlte sich unter ihrer Berührung kalt und genauso glitschig wie ein Fischbauch an. Baums Augen waren völlig verdreht, so daß nur noch das gelbliche Weiß ihrer Augäpfel zu sehen war.
Es wird jetzt bald vorüber sein, dachte Alte Beere. Auf die eine oder auf die andere Art.
Zwei der jüngeren Frauen spreizten Baums muskulöse Beine und hielten sie fest, als die Wehen schneller und schneller kamen. Draußen drehte sich der Wind ein wenig, und eine Bö blies scharfen, beißenden Rauch in den Unterstand. Obwohl ihre Augen davon schmerzhaft tränten, ließ Alte Beere sich nicht ablenken. Ihre Blicke klebten an der Stelle, wo Baums Schenkel zusammentrafen - sie hatte bestimmte Zeichen erblickt und wollte sicherstellen, daß die jungen Mädchen, von denen so manches noch nie bei einer Geburt dabeigewesen waren, sie auch sahen.
»Seht«, befahl sie mit scharfer Stimme, »wie die Öffnung sich verändert -
da. Seht genau hin, ihr dummen Mädchen.«
Und tatsächlich war die Scheidenöffnung plötzlich angeschwollen, als ein kleiner, dunkler, blutiger Schatten dort erschien. »Ahhh«, machten die beiden Mädchen, die Baums Beine hielten.
»Weiter!« befahl Alte Beere. »Macht dem Jungen Platz!« Sie hatte immer noch keine Ahnung, welchen Geschlechts dieses Kind war, aber von ihm als Mädchen zu sprechen, wenn es ein Junge war, konnte es für immer mit einem Fluch beladen, selbst jetzt noch, wo es aus dem Bauch seiner Mutter in die Welt glitt.
Baum bog sich unvermittelt nach hinten. Ihre Zähne knirschten aufeinander, die Augen waren weit aufgerissen. Als es dann geschah, geschah es mit erstaunlicher Schnelligkeit.
»Aieee!« Als Baum den kurzen, schrillen Schrei ausstieß, beugte Alte Beere sich vor und drückte ihr mit aller Kraft auf den Bauch. Der Kopf des Kindes schoß aus Baum hervor wie ein Stück Fleisch, das aus dem Mund eines Jägers ausgespuckt wird. Rasch folgte der Rest des winzigen Körpers, und Alte Beere streckte die Hände aus, um das Neugeborene aufzufangen.
»Das Messer!« befahl sie. Sie hielt das heilige Messer bereits seit mehreren Sonnenumläufen bereit; Stein hatte eigenhändig die wundervoll geschlagene Schneide noch weiter vervollkommnet, bis sie scharf genug war, ein Haar von Alter Beere in der Luft zu zerteilen. Nun reichte Blatt das Messer der älteren Frau, die es ergriff und ein kurzes Gebet an die Große Mutter richtete. Es war ein magischer Moment, dieser Augenblick, wenn die Nabelschnur, die die Mutter und ihren Sohn verband, durchtrennt wurde.
Und es war wirklich ein Sohn, wie Alte Beere feststellte, als sie einen einzigen sicheren Schnitt machte und damit das Kind ein für allemal in der Welt willkommen hieß.
»Hier«, sagte sie und gab Blatt den Jungen, so daß sie den Säugling von Blut und Schleim säubern und ihn in schon zurechtgelegte Felle wickeln konnte. Dann wandte sie sich in der Erwartung, die Entspannung zu sehen, die gewöhnlich einer erfolgreichen Geburt folgte, wieder Baum zu.
Doch als sie Baum ansah, wurden ihre Augen vor Erstaunen groß. Baums Kiefer klafften weit auseinander, ein lautloser Schrei äußerster Qual. Ihr Leib war steif wie ein Stock.
Rasch fuhren Alter Beeres erfahrene Hände über Baums Bauch, drückten und kneteten. Dann blickte sie wieder auf. »Blatt!«
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