Maya und der Mammutstein
schwieg sie über das Innere des Geisterhauses und die Handlungen, die Geist und Alter Zauber in ihm vollführten. Und mit Sicherheit benahm sie sich nicht so wie andere kleine Mädchen ihres Alters: geziemend schweigsam in Gegenwart der Männer, zurückhaltend und bescheiden, während sie sich auf die Pflichten vorbereiteten, die sie ihr ganzes Leben lang würden erfüllen müssen.
Es war nicht so, daß Maya das Wissen, das Blüte und Alte Beere ihr zu vermitteln hatten, zurückgewiesen hätte, es war nur einfach so, daß sie ihm nicht die Aufmerksamkeit widmete, die es verdiente. Die ständige Suche nach Nahrung - Beeren, Gräser, Nüsse, Knollen, kleine Tiere und Fische
-
und die Zubereitung und Haltbarmachung dieses Nahrungsvorrats für das Volk, dies war es, was Frauen taten - es gab nur diese Art zu leben für sie.
Und doch schien Maya das alles überhaupt nicht zu begreifen, so daß Blüte sich große Sorgen um sie machte. Das auffällige Benehmen des kleinen Mädchens brachte ihm mißtrauische Blicke der anderen ein, und das war überhaupt nicht gut. Ihr exzentrisches Gebaren wurde nur toleriert, weil Alter Zauber - und zu einem gewissen Grad auch Alte Beere - die Kleine förderten und ihre schützende Hand über sie hielten.
Die beiden würden indes nicht ewig leben, und wenn sie heimgegangen wären, würde Maya gemäß den überlieferten Traditionen leben müssen, die das Volk seit Urzeiten geleitet hatten.
Sie seufzte tief auf. Manchmal war es eine solche Last, dieses j Kind zu erziehen, aber eine, die sie gern auf ihre Schultern l nahm - denn die kleine Maya war, jedenfalls wenn ihr unberechenbares Verhalten unter Kontrolle gebracht war, eine Freude ihres Herzens. Maya war klüger als irgendein anderes Kind gleichen Alters - selbst als ihr Bruder, Wolf, der bereits der Führer einer stetig wachsenden Gruppe von Freunden war.
Ihren strahlenden, funkelnden Augen entging nichts, und vielleicht wollten ihre Fragen aus diesem Grunde einfach nicht aufhören. Manchmal schockierte die Wißbegier Blüte, denn sie stellte die Grundfesten ihres eigenen Weltvers tändnisses in Frage. Beklommen preßte sie die Lippen aufeinander, als sie sich des jüngsten Beispiels entsann: »Mama, warum liegen die Männer so viel um das Feuer herum? Warum helfen sie uns nicht dabei, die Wurzeln auszugraben?«
Zutiefst entsetzt, war Blüte nicht auf Anhieb in der Lage gewesen, ihrer Tochter eine passende Antwort zu geben. Als sie schließlich wieder reden konnte, war ihre Stimme leise und zitternd. »Die Männer tun, was sie tun, Maya. Laß nie einen von ihnen so etwas hören wie das eben. Schreckliche Dinge könnten passieren.«
»Was für schreckliche Dinge?«
Doch Blüte hatte lediglich ihre schwieligen Fingerspitzen auf Mayas kleinen Mund gelegt und hatte sie hoch und heilig versprechen lassen, diese Frage niemals zu wiederholen. Selt samerweise hatte diese Frage, obwohl sie selbst zuvor nie darüber nachgedacht hatte, sich tief in Blutes Denken festgesetzt. Warum lagen die Männer denn eigentlich die ganze Zeit herum? Doch sie suchte nicht nach einer Antwort, weil es keine Antwort gab. Die Rollen von Männern und Frauen waren seit Jahrhunderten festgelegt, ganz und gar akzeptiert, so sehr, daß selbst der Gedanke an Zweifel einen Schwindel in Blutes Kopf und einen heftigen Anfall von Furcht in ihrem Herzen hervorrief. Sie wußte es besser, als auch nur einen Gedanken an solche Dinge zu verschwenden, und sie hoffte, daß der Keim des Zweifels, den ihre wunderschöne, frühreife Tochter in ihre Brust gepflanzt hatte, verdorren möge.
Was brachte Alter Zauber ihr überhaupt bei? Was immer es auch war, entschied Blüte, Maya würde davon nichts Gutes zu erwarten haben, ja, es würde ihr großen Schaden zufügen.
Wieder seufzte sie auf, band den Lederriemen, der Mayas Umhang hielt, ein letztes Mal und sagte: »Komm, Maya. Wir wollen doch nicht zu spät kommen.«
Gehorsam ließ das kleine Mädchen seine Finger in die warme, rauhe Höhlung der Hand der Mutter gleiten und gestattete dieser, es nach draußen zu führen. Draußen angekommen, blieben sie erst einmal stehen -
Blüte hielt nach den Frauen Ausschau, die sie erwartete, und Maya betrachtete einfach ihre Umgebung mit wachsamen, erwartungsvollen Augen.
Die Rauferei der schreienden und brüllenden Jungen hatte sich zum Felsüberhang oberhalb des Ersten Sees verlagert. Wolf, Mayas Bruder, warf gerade Hase zu Boden und setzte sich mit lautem Triumphgeheul auf ihn.
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