Maya und der Mammutstein
Domäne des alten Schamanen gefallen war. Aber es war ihr nicht entgangen, daß Alter Zauber sich immer weniger zu rühren schien, sich mehr und mehr damit zufriedengab, am Feuer im Innern des Geisterhauses zu faulenzen, die Augen halb geschlossen, während er die alten Lieder für sie sang.
Weder das Älterwerden hatte Bedeutung für Maya, noch gab es in ihrer Vorstellungswelt Platz für den Tod. Alter Zauber war alt. Das war alles.
Vielleicht war der alte Mann müde, so daß er heute Geist an seiner Stelle gesandt hatte. Eines Tages würde Geist selbst Schamane sein.
Während Maya noch zusah, hob Speer beide Arme in einer betenden Geste empor, um sich dann umzudrehen und auf den Felsenpfad zu deuten, der sich die Klippe hinaufwand. Geist bekundete durch ein Kopfnicken seine Erlaubnis, und der ganze Rest klatschte in einer Geste der Zustimmung in die Hände.
Gebannt, wie Maya war, hätte sie gern weiter zugesehen, doch Blüte zerrte plötzlich ungeduldig an ihrer Hand. »Da sind sie«, verkündete Blüte. »Da drüben, hinter dem Haus der Mädchen.«
Vorwärts gezogen, aber immer noch zögernd, ließ Maya von der Beobachtung der Männer ab und wandte sich gehorsam um. Mehrere Frauen, beherrscht von Alter Beeres scharfer Stimme, hatten sich zu einer wohlgeordneten Gruppe zusammengefunden. Maya entdeckte kleinere inmitten der größeren Gestalten - also würden auch andere junge Mädchen mit gehen. Sie fragte sich, ob ihre Schwester Knospe unter ihnen sein würde. Dieses Mädchen, ein Jahr jünger als Maya, war ihre beste Freundin geworden.
»Beeilt euch!« rief Alte Beere mit schriller Stimme. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
»Komm, Maya«, sagte Blüte. »Wir sind spät dran. Zappele doch nicht so herum.«
»Werden wir die Rauchgeister sehen?« wollte Maya wissen, während sie sich bemühte, mit ihren kurzen Beinen Schritt mit ihrer Mutter zu halten.
»Kommt Knospe auch mit?«
Blüte sah zu Boden und bemühte sich, streng zu bleiben, doch ein Lächeln stahl sich auf ihre Züge. »Ja«, versprach sie. »Heute wirst du die Rauchgeister sehen. Du und Knospe, ihr beide.«
»Fein«, erwiderte Maya, die endlich beschwichtigt war.
Alte Beere warf Blüte einen finsteren Blick zu, als sie sich der größten Gruppe der Frauen und Mädchen näherte. »Wo habt ihr gesteckt?«
Wortlos sah Blüte auf Maya hinab und zuckte die Schultern. Die Augenbrauen von Alter Beere fuhren blitzschnell in die Höhe. Dann nickte sie. Sie wußte sehr wohl, wie lästig das quirlige kleine Mädchen mit den leuchtenden Augen werden konnte. »Nun gut«, meinte sie, und ihre rauhe alte Stimme klang ein wenig weicher, »sonst ist ja alles versammelt. Es wird langsam Zeit, daß wir uns auf den Weg machen.«
»Laß bloß meine Hand nicht los!« warnte Blüte Maya, die schon ungeduldig zerrte.
»Ich möchte mit Knospe sprechen«, entgegnete Maya. Sie hatte ihre jüngere Schwester ausgemacht, die ausgelassen mit zwei anderen Mädchen ihres Alters geplappert hatte.
»Mutter«, drängte sie, »bitte laß mich doch mit Knospe zusammen gehen.
Ich bin auch ganz gehorsam. Ich verspreche es!«
Eingedenk der Verantwortung, die ihr von Altem Zauber auferlegt worden war, machte Blüte ein zweifelndes Gesicht.
»Bitte«, bat Maya.
»Nun... in Ordnung«, gab Blüte schließlich nach. »Aber du bleibst bei Knospe und den anderen Kindern. Streife nicht allein durch die Gegend.
Hast du mich verstanden?«
»Ich versprech's«, erklärte Maya feierlich.
»Dann lauf.« Lächelnd sah Blüte ihrer außergewöhnlichen Tochter nach, die fröhlich davonlief. Dann wandte sie sich um, um sich unter die Frauen ihres Alters zu mischen. Es war schon lange her, seit sie das letzte Mal die Rauchgeister gesehen hatte. Auch sie freute sich darauf.
Maya hüpfte ausgelassen, bis sie fast bei Knospe war, die tief in ein Gespräch mit Zweig und Ast, zwei Schwestern, versunken war. Ein schelmischer Ausdruck huschte über Mayas Antlitz. Sie hockte sich tief nieder und tat so, als sei sie ein Hase, und schlich sich zu einer Stelle vor, die nur wenige Fuß noch von ihrer Schwester entfern t war.
»Buh!« schrie sie aus voller Brust und sprang Knospe auf den Rücken.
Knospe kreischte in gespieltem Entsetzen auf und brach halb unter Mayas Gewicht zusammen.
»Maya! Wo hast du gesteckt?« keuchte Knospe schließlich, als sie sich aus dem Griff ihrer Schwester wand. Zweig und Ast, die sich, obwohl ein Jahr auseinander, glichen wie zwei braune Nüsse, kicherten über
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