Maya und der Mammutstein
Opfer
- in seinen tauben Armen wiegte.
»Bruder...?«
Der leise, seufzende Laut, ein so ersticktes Flüstern, daß er es zuerst für Einbildung gehalten hatte, schien nichtsdestotrotz wie Donnerhall in seinen Ohren zu tönen. Er keuchte auf und blickte auf ihr kleines, herzförmiges Gesichtchen hinab. In einem letzten Moment bei klarem Bewußtsein leuchteten ihre Augen vertrauensselig auf; ihre weichen, braunen Lippen bewegten sich schwach, und ein dünner Speichelfaden rann durch die roten Spuren auf ihrem Kinn.
Dann durchlief sie ein Schauder, und ihre Augen fielen zu.
Karibu mußte husten. Seine mächtigen Arme schlössen sich um Frühlingsblütes kraftlosen, schlaffen Körper, als er trocken hustete und würgte, bis er schließlich einen bitteren Geschmack auf der Zunge schmeckte und sich erbrach.
Der Krampf verebbte; Karibu fühlte sich wie ausgepumpt. Sein Magen schmerzte entsetzlich, seine Wangen und seine Stirn fühlten sich klamm und kalt an. Er versuchte, das Zittern seiner Finger zu unterbinden, während er zärtlich die Stirn des kleinen Mädchens berührte. Heiß, trocken wie ein Stein im Herdfeuer, ausbrennend. Doch ihre Lider rührten sich nicht, und auch der langsame Rhythmus, in dem ihre Brust sich hob und senkte, änderte sich nicht.
Gebrochene Faust würde nicht erfreut sein. Doch Schwarzes Karibu kümmerte das nicht mehr, während sich draußen der schreckliche dumpfe Schlag der Trommeln zu steigern begann. Das ganze Universum war auf diese kleine schlafende Gestalt zusammengeschrumpft, die er in seinen Augen wiegte.
Ihre Knochen sind wie die eines Vögelchens, dachte er mit plötzlichem, verlorenem Staunen. Seine Knie knackten laut, als er sich erhob. Der Trommelschlag hämmerte und dröhnte in seinem Schädel.
Frühlingsblütes Kopf baumelte schlaff herum, ihr Haar fiel zur Seite, entblößte das weiche Fleisch ihrer Kehle.
Er würgte und spuckte ein letztes Mal, schnitt eine Grimasse ob der Bitterkeit, die in ihm aufzusteigen schien, nicht in seinem Körper, sondern vielmehr in seiner Seele. Dann bückte er sich und verließ das Zelt. Draußen im hellen Licht blieb er stehen, blinzelte. Irgend etwas brannte ihm in den Augen. Es vernebelte ihm die Sicht. Nach einem kurzen Moment war es vorbei, und er sah den bedrohlichen Anblick, der sich ihm darbot.
Er schauderte, straffte sich und trat vor, trug seine leichte und doch so schwere Last in den grauen Morgen hinaus. Niemand schenkte ihm einen Blick. Die Kälte brachte ihm neue Kräfte, brachte Farbe in sein blutleeres Gesicht zurück. Während er halb ging, halb taumelte, schien es ihm, als seien seine Sinne schmerzhaft scharf geworden. Tausende von Einzelheiten prägten sich ihm ein, überwältigten ihn beinahe mit ihrer schrecklichen Macht; das ganze Bisonvolk - Männer, Frauen und Kinder -
stand um die stinkende Grube herum, die fettige Rauchwolken giftigen schwarzen Qualms in den bleiernen Himmel stieß. Der Gestank halb verfaulten Fleisches verpestete die Luft, die er atmete - aus den Augenwinkeln sah er dessen Ursprung. Berge von abgenagten Knochen, die neben den Zelten aufgehäuft waren, die Fleischreste daran braun und purpurn und mit weißen Sehnen aneinandergehalten.
Drei Männer machten sich an den hohlen Holzscheiten zu schaffen; trotz der Kälte hatten sie ihre Überwürfe abgelegt. Sie arbeiteten mit äußerster Konzentration, und die Muskeln ihrer Arme zuckten unter der gebräunten Haut, auf der Schweiß glänzte. Sie hatten die Lippen in einer verkrampften Grimasse zurückgezogen, die Augen weit geöffnet und leer, und ihre Zähne knirschten im Rhythmus des Liedes aufeinander.
Die Trommler hockten auf der anderen Seite der Grube, so daß der Rauch, der aufstieg, sie verdeckte, und einen kurzen Augenblick lang hielt Karibu sie für Geister, tote Männer, die trommelten und trommelten und trommelten, und von neuem ergriff ihn unbeschreibliches Entsetzen.
Abgesehen von den sich unermüdlich hebenden und senkenden Armen der Trommler regte sich nichts. Zu seiner Rechten standen die Stammesangehörigen - war das Ratte, dessen Kie fer schlaff herunterhing, während die rote Zunge in langsamer, hungriger Gier in seinem Mund herumfuhr? -, versammelt wie verdorrte Bäume nach einem Feuer, reglos, schwarz und kahl.
Schwarzes Karibu erkannte plötzlich, wie er sich fühlte. Er fühlte sich tot, soweit er sich vorstellen konnte, wie man sich dann fühlte. Alle anderen waren mit einemmal zu stummen Geistern geworden, genau wie
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