Maya und der Mammutstein
gewiß; das war die Aufgabe von Altem Zauber - und mittlerweile in wachsendem Maße die Aufgabe seines Nachfolgers Geist. Doch auch Schamanen vermochten nicht mehr zu tun, als die Geister davon abzuhalten, daß sie in ihren schlimmsten Launen das Volk vernichteten, wie ein gedankenlos einherstampfendes Mammut eine Fliege zertreten mochte. Manchmal ließen sich die Geister sogar soweit schmeicheln, daß sie dem Volk Gaben gewährten; doch auch hier galt, daß sie nicht mehr Anteilnahme für die Menschen übrig hatten als für die Fliege, die verschont oder mit einer saftigen Ladung Dung gefüttert wurde.
Wie dem auch war, Stein setzte seine Unterweisungen fort, bis Maya in der Fertigung von Schabern, Beilen und Klingen fast so tüchtig war wie er selbst. Irgendwann hatte Alter Zauber beschlossen, daß sie nun genug gelernt hätte. Stein hatte seinen Unterricht mit einer Erleichterung eingestellt, die er immer noch nicht verstand, obwohl das Gefühl, etwas Falsches zu tun, schließlich verschwunden war, das ihn die ganze Zeit über gequält hatte.
Maya wußte nichts von Steins Empfindungen; er hatte sie angeleitet, hatte aber peinlich darauf geachtet, nur über ihre Lektionen mit ihr zu reden.
Sie hatte keine Wärme in seinem Verhalten gespürt, keine Veränderung in seiner Haltung ihr gegenüber, ganz gleich, wie oft sie gelächelt hatte, wie glücklich sie zu sein versucht hatte, wie sehr sie die schrecklichen Krämpfe in ihren Fingern und Handgelenken zu ignorieren bemüht hatte bei der Plage, die Steine genau so und nicht anders zu halten. Viele Male war sie zu ihrem Zelt zurückgelaufen und hatte Beere die blutenden Schürfwunden auf ihren Handflächen gezeigt, und erst, nachdem Beere lin dernde Salben auf diese Wunden gerieben hatte, hatte Maya endlich vor Schmerz und Elend über ihre Einsamkeit schluchzen können.
Maya verstand genausowenig wie Stein, warum Alter Zauber sie dazu trieb, dieses spezielle Wissen zu erwerben. Das Erlernen der Fähigkeit, den Feuerstein zu bearbeiten, machte sie noch mehr zu einer Außenseiterin. Nicht genug damit, daß sie bereits die Bürde all der anderen Dinge zu tragen hatte, die die Frauen dazu veranlaßte, zu tuscheln und ihr den Rücken zuzudrehen, nun wurde sie durch ihre neuen Lektionen auch noch zu einem Mädchen, das Männerarbeit tat, und darüber ereiferten sich manche noch mehr als über ihre früheren Verfehlungen.
»Warum muß ich das tun?« hatte sie sich jammernd bei Altem Zauber beklagt. Das war nach einer besonders ärgerlichen Unterrichtsstunde gewesen, bei der sie sich beinahe den kleinen Finger ihrer linken Hand gebrochen hatte, als sie sich einen schweren Schlagstein darauf geschmettert hatte, doch Alter Zauber hatte sie keiner Antwort gewürdigt.
Nun, das stimmte nicht ganz, denn er hatte nur gelächelt und gesagt:
»Mach dir keine Sorgen, kleine Maya. Eines Tages wirst du den Grund erfahren.«
»Ich will es aber jetzt wissen!« war es aus ihr herausgeplatzt, und wieder waren Tränen aus ihren Augen geflo ssen.
Er hatte den Mund nur zu einem zahnlosen Grinsen verzogen, den Kopf geschüttelt und gesagt: »Aber das ist ein Geheimnis, Maya.«
Manchmal mußte es ihr so scheinen, als sei alles ein Geheimnis - doch sie hätte sich auch nicht besser gefühlt, wenn Zauber ihr die Wahrheit erzählt hätte. Er wußte nicht ganz genau, warum er sie zu Stein geschickt hatte, es war nur ein Gefühl, daß er es eben tun sollte. Und er wußte auch nicht, warum er gesagt hatte, daß ihr dieses Geheimnis später offenbart werden würde. Bei diesen seinen eigenen Worten hatte er einen Anflug von Unruhe verspürt.
Das Geheimnis war schließlich auch vor ihm verborgen.
Jetzt, wo Maya mit ihrer Arbeit fertig wurde und sich erhob, um den gehäuteten Hasen zum Fluß hinunter zu tragen, waren ihre Lektionen -
halb Schmerz, halb Vergnügen - fast vergessen. Sie dachte nicht mehr an ihre Begabung, Steine zu spalten, und auch nicht an all die anderen Dinge, die sie, da Alter Zau ber darauf bestand, gelernt hatte.
Das Glucksen des kleinen Flusses an der Stelle, wo er aus dem Ersten See heraustrat und über Felsblöcke sprudelte und spritzte, gab ihrer Stimmung Auftrieb. Sie liebte das Geräusch schnell dahinfließenden Wassers, liebte den feuchten, klaren Geruch in ihrer Nase, liebte es, wie die Gischt, wenn Maya sich hinabbeugte, ihr Gesicht mit kühlen Tropfen überzog.
Sie legte den Hasen hin und begann, zähen schwarzen Schlamm auf ihn zu schaufeln, bis er mit einer
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