Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
mein Kleid, schlang mir ein Handtuch um den Kopf, bedeckte mein Gesicht mit einer dicken Schicht weißer Creme und trat hinaus in den Flur. Fast blieb mir das Herz stehen: Joe Martin redete einige Meter weiter mit einer der Angestellten in Rosa.
Wegrennen, nur weg, war mein erster Impuls, aber ich zwang mich, so ruhig wie möglich den Flur hinunterzugehen. Irgendwo hier musste der Personalausgang sein. Ich kam an mehreren belegten Kabinen vorbei, fand dann eine etwas breitere Tür, stieß sie auf und gelangte auf die Hintertreppe. Von der freundlichen Sauna-Atmosphäre war hier nichts zu spüren, der Boden gefliest, die Wände aus nacktem Beton, kaltes Neonlicht, unverkennbarer Geruch nach Zigaretten und Frauenstimmen auf dem Treppenabsatz ein Stockwerk tiefer. Eine Ewigkeit stand ich an die Wand gepresst da, konnte nicht weiter und nicht zurück in den Saunabereich, bis die Frauen endlich aufgeraucht hatten und von der Treppe verschwanden. Ich wischte mir hastig die Creme vom Gesicht, ließ Handtuch und Bademantel in einer Ecke liegen und stieg hinab in die Eingeweide des Gebäudes, die wir Clubmitglieder nie zu Gesicht bekamen. Hinter der erstbesten Tür fand ich einen riesigen Kellerraum, wo Wasserleitungen und Lüftungsrohre an der Decke entlangliefen und Waschmaschinen und Trockner dröhnten. Die gegenüberliegende Tür führte nicht auf die Straße, wie ich gehofft hatte, sondern in die Schwimmhalle.Ich kehrte um und kauerte mich trotz des Lärms und der stickigen Hitze im Waschkeller in eine Ecke hinter einen Berg gebrauchter Handtücher; ich würde hier nicht wegkommen, ehe Joe Martin aufgab und ging.
Die Minuten verstrichen in diesem ohrenbetäubend dröhnenden Unterseeboot, und die Furcht, Joe Martin in die Hände zu fallen, wich dem Verlangen, mir irgendwas einzupfeifen. Ich hatte seit Tagen nichts gegessen und irrsinnigen Durst, durch meinen Kopf fegte ein Wirbelsturm, mein Magen krampfte. Mir schliefen die Hände und Füße ein, vor meinen Augen blitzte ein Strudel bunter Lichtpunkte. Ich verlor jedes Zeitgefühl, wusste nicht, ob ich seit einer Stunde dort hockte oder seit vielen, war vielleicht eingeschlafen oder zwischendurch bewusstlos geworden. Bestimmt kamen Angestellte herein, um Wäsche zu waschen, aber ich blieb unentdeckt. Irgendwann kroch ich aus meinem Versteck, rappelte mich mühsam auf und tastete mich mit bleischweren Beinen und schwindlig im Kopf an der Wand entlang zur Tür.
Draußen war es noch hell, es musste zwischen sechs und sieben Uhr abends sein, denn in der Schwimmhalle herrschte Hochbetrieb. Um diese Zeit füllte sich der Club mit Angestellten aus den Büros. Und es war auch die Zeit, in der Joe Martin und der Chinese sich auf ihre nächtliche Runde vorbereiteten, also waren sie wahrscheinlich weg. Ich sank auf einen der Liegestühle, atmete keuchend die chlorgesättigte Luft aus dem Becken ein, wagte es aber nicht, mir ein Bad zu gönnen, weil ich notfalls zur Flucht bereit sein musste. Bei einem der Kellner bestellte ich einen Fruchtshake, fluchte innerlich, weil man hier nur diese Fitnessgetränke bekam, und ließ die Bestellung anschreiben. Ich nahm zwei Schlucke von dem dickflüssigen Shake, fand ihn aber widerlich und musste ihn stehenlassen. Es hatte keinen Zweck, hier weiter Zeit zu verlieren, ich gab mir einen Ruck und machte mich auf den Weg zum Foyer in derHoffnung, dass der Angestellte, der mich verpfiffen hatte, inzwischen gegangen war. Ich hatte Glück und kam unbehelligt nach draußen.
Der Weg zur Straße führte über den Parkplatz, der um diese Zeit voller Autos stand. Von weitem sah ich, wie ein Mann aus dem Club, um die vierzig und gut in Form, seine Tasche im Kofferraum seines Wagens verstaute, und ich ging hin und fragte ihn mit schamrotem Gesicht, ob er Zeit habe, mich auf einen Drink einzuladen. Keine Ahnung, wo ich den Mut hernahm. Von dem Frontalangriff überrascht, brauchte der Mann einen Moment, bis er mich einordnen konnte; falls er mich früher schon gesehen hatte, erkannte er mich nicht, und ich entsprach offenbar nicht seiner Vorstellung von einer Stricherin. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, zuckte die Achseln, stieg in sein Auto und fuhr weg.
Bis zu diesem Moment hatte ich in meinem Leben schon einige Leichtsinnigkeiten begangen, mich aber nie zuvor vergleichbar erniedrigt. Von Roy Fedgewick war ich entführt und vergewaltigt worden, ich war unvorsichtig gewesen, nicht unverfroren. Das hier war etwas anderes, es gab ein Wort dafür, das
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