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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Wunden und Blutergüsse an den Armen. Nachts streifte ich durch die Stadt, das war sicherer, als zu schlafen, und bei Tag suchte ich mir irgendwo einen Platz, wo ich mich verkriechen und ausruhen konnte.
    Ich lernte, dass die belebtesten Orte die sichersten sind, ich mit einem Pappbecher bettelnd vor dem Eingang zu einer Mall oder Kirche die Passanten bei ihrem schlechten Gewissen packen konnte. Einige ließen Münzen in den Becher fallen, aber nie redete jemand mit mir; Armut ist heute das, was früher Lepra war: Sie stößt die Leute ab und macht ihnen Angst.
    Ich mied die Orte, an denen ich früher unterwegs gewesen war, ging nicht zum Strip, weil dort auch Joe Martin und der Chinese ihre Geschäfte machten. Bettler und Süchtige markieren ihr Revier wie Tiere, und ihr Radius umfasst meist nur wenige Straßen, ich aber drang in meiner Verzweiflung in die unterschiedlichsten Viertel vor, scherte mich nicht um Rassengrenzen, Schwarz zu Schwarz, Latino zu Latino, Asiate zu Asiate, Weiß zu Weiß. Ich blieb nirgends länger als ein paar Stunden. Die elementarsten Dinge, wie essen und mich waschen, bekam ich nicht auf die Reihe, schaffte es aber irgendwie, an Alkohol und an Drogen zu kommen. Ich war immer auf der Hut, ein gehetztes Tier, bewegte mich schnell, redete mit niemandem, witterte Feinde an jeder Ecke.
    Ich begann Stimmen zu hören und überraschte mich dabei, dass ich ihnen antwortete, obwohl ich wusste, dass sie nicht existierten, denn ich kannte die Symptome von etlichen Leuten im Haus von Brandon Leeman. Freddy nannte sie »die Unsichtbaren« und machte sich über sie lustig, aber wenn es ihm dreckig ging, erwachten die Unsichtbaren zum Leben, genau wie die Insekten, ebenfalls unsichtbar, die ihn mit ihrem Gekrabbel um den Verstand brachten. Sah ich einen schwarzen Wagen wie den meiner Verfolger oder jemanden, der mir bekannt vorkam, machte ich mich sofort davon, aber ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, Freddy wiederzufinden. Ich dachte mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Groll an ihn, konnte nicht begreifen, wieso er verschwunden war, wieso er mich nicht fand, obwohl er die Stadt doch kannte wie seine Westentasche.
    Die Drogen brachten den Hunger und die vielen Schmerzen, die ich hatte, zum Schweigen, halfen aber nicht gegen meine Krämpfe. Ich schleppte schwer an meinen Knochen, und meine dreckige Haut juckte, an den Beinen und am Rücken bekam ich einen seltsamen Ausschlag, den ich mir blutig kratzte. Wenn mir plötzlich wieder einfiel, dass ich seit zwei oder drei Tagen nichts gegessen hatte, schleppte ich mich in eine Obdachlosenunterkunft für Frauen oder stellte mich bei der Armenspeisung von San Vicente de Paul in die Schlange der Wartenden, wo ich immer eine warme Mahlzeit bekommen konnte. Viel schwerer war es, einen Schlafplatz zu finden. Nachts war es noch um die zwanzig Grad warm, aber weil ich so geschwächt war, fror ich viel, bis man mir bei der Heilsarmee eine Wolljacke gab. Die Organisation war Gold wert für mich, ich musste nicht wie andere Obdachlose mit einem geraubten Einkaufswagen voller Plastiktüten herumziehen, wenn meine Kleidung zu sehr stank oder mir am Leib schlotterte, tauschte ich sie bei der Heilsarmee gegen neue. Ich hatte etliche Konfektionsgrößen abgenommen, meine Schlüsselbeine und Hüftknochen standen vor, und meine einst kräftigen Beine waren mitleiderregend dürr. Es sollte Dezember werden, bis ich mich auf eine Waage stellen konnte und sah, dass ich binnen zwei Monaten dreizehn Kilo verloren hatte.
    In den öffentlichen Toiletten trieben sich Kriminelle und Perverse herum, aber was sollte ich machen, ich musste mir die Nase zuhalten und sie benutzen, in einen Laden oder ein Hotel konnte ich nicht gehen, dort hätte man mich achtkantig rausgeworfen. Auch die Toiletten der Tankstellen blieben mir verwehrt, weil die Angestellten sich weigerten, mir die Schlüssel zu geben. Rasch stieg ich so die Stufenzur Hölle hinab wie so viele andere Aussätzige, die auf der Straße betteln und stehlen für ein bisschen Crack, Meth oder Acid, einen kratzigen, derben Schluck von etwas Hartem. Je billiger der Alkohol, desto wirksamer, genau, was ich brauchte. Oktober und November verbrachte ich so; ich kann nicht genau sagen, wie ich das durchstand, erinnere mich dagegen noch sehr gut an die kurzen Höhenflüge und an die unwürdigen Szenen danach auf der Jagd nach dem nächsten Schuss.
    Ich setzte mich nie an einen Tisch, wenn ich Geld hatte, kaufte ich Tacos, Burritos

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