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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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oder Hamburger, die ich gleich wieder in endlosen Würganfällen auf allen Vieren von mir gab, mit einem Brennen im Magen, wundem Mund, Entzündungen an Lippen und Nase, nie war etwas sauber oder freundlich, überall Glasscherben, Kakerlaken, Mülltonnen, nicht ein Gesicht in der Menge, das mich angelächelt hätte, keine Hand, die mir half, meine gesamte Welt bevölkert von Dealern, Junkies, Zuhältern, Dieben, Schwerverbrechern, Huren und Irren. Mir tat alles weh. Ich hasste meinen Scheißkörper, mein Scheißleben, hasste mich dafür, dass ich nicht die Scheißkraft aufbrachte, mich zu retten, hasste meine Scheißseele, mein Scheißschicksal.
    In Las Vegas verbrachte ich ganze Tage, ohne mit jemandem einen Gruß zu wechseln, ohne dass jemand ein Wort oder eine Geste für mich übrig gehabt hätte. Die Einsamkeit hatte mich im Griff, eine eisige Pranke auf der Brust, ich kam nicht einmal auf die schlichte Idee, ein Telefon zu suchen und daheim in Berkeley anzurufen. Das hätte genügt: ein Anruf. Aber ich hatte jede Hoffnung verloren.
    Zu Anfang, als ich noch wegrennen konnte, drückte ich mich in der Nähe von Cafés und Restaurants mit Außenbestuhlung herum, wo die Raucher saßen, und wenn jemand ein Päckchen auf den Tisch legte, steckte ich es im Vorbeilaufen ein, weil ich es gegen Crack tauschen konnte. Ichhabe genommen, was auf der Straße an Giften zu haben ist, aber geraucht habe ich nie, obwohl ich den Geruch von Tabak mag, weil er mich an meinen Pop erinnert. Ich klaute auch Obst im Supermarkt oder Schokoriegel an den Kiosken am Bahnhof, aber so wenig ich für das traurige Gewerbe der Stricherin taugte, so wenig war ich fähig, das Klauen zu lernen. Freddy war ein Meister darin, er sagte, er habe damit angefangen, da steckte er noch in den Windeln, und er hatte mir das eine oder andere vorgeführt, damit ich seine Tricks lernte. Er erklärte mir, Frauen seien sehr nachlässig mit ihren Handtaschen, hängten sie an Stuhllehnen, ließen sie rumliegen, wenn sie in Boutiquen etwas aussuchten oder anprobierten, pfefferten sie beim Friseur in die Ecke, trügen sie im Bus über der Schulter, sie würden ja förmlich darum betteln, dass jemand sie von dem Problem erlöste. Freddy besaß unsichtbare Hände und zauberisch flinke Finger und bewegte sich anmutig wie ein Gepard. »Genau hinsehen, Laura, lass mich nicht aus den Augen«, wies er mich an. Wir betraten eine Mall, er suchte unter den Leuten ein passendes Opfer, spazierte mit dem Handy am Ohr herum, schien völlig in ein lautstark geführtes Telefonat vertieft, näherte sich einer Frau, die nicht auf ihn achtete, fischte, schneller, als ich begreifen konnte, den Geldbeutel aus ihrer Handtasche und ging seelenruhig, und immer noch telefonierend, davon. Ähnlich elegant konnte er jedes beliebige Auto aufbrechen oder verschwand in einer Ladenpassage und kam fünf Minuten später mit zwei Parfümflakons oder Uhren durch eine Seitentür wieder heraus.
    Ich versuchte anzuwenden, was Freddy mir gezeigt hatte, aber es fehlte mir an Selbstverständlichkeit, ich wurde nervös, und mein erbärmliches Aussehen weckte Argwohn; in den Geschäften wurde ich überwacht, und auf der Straße wichen die Leute mir aus, ich stank nach Gosse, hatte fettiges Haar und Verzweiflung im Blick.
    Mitte Oktober schlug das Wetter um, die Nächte wurden kühl, und ich war krank, musste ständig pinkeln, was stechend und brennend wehtat, sofern ich nicht bedröhnt war. Blasenentzündung. Ich kannte die Symptome, hatte mit sechzehn schon mal eine gehabt und wusste, dass man sie mit Antibiotika rasch loswird, aber ohne Rezept ist ein Antibiotikum in den USA schwerer zu bekommen als ein Kilo Kokain oder ein Schnellfeuergewehr. Ich hatte Mühe beim Gehen, konnte mich kaum aufrichten, traute mich aber nicht zur Notaufnahme ins Krankenhaus, weil sie dort Fragen gestellt hätten und am Eingang immer Polizei stand.
    Ich musste einen sicheren Ort zum Übernachten finden und beschloss, es bei einer Armenunterkunft zu versuchen, die sich als schlecht gelüftete Baracke erwies, wo in engen Reihen Feldbetten für etwa zwanzig Frauen und viele Kinder standen. Mich überraschte, dass sich wenige der Frauen ihrem Elend so überließen wie ich; nur ein paar führten wie geistesgestört Selbstgespräche oder waren auf Randale aus, die übrigen kamen mir sehr zielstrebig vor. Vor allem die mit Kindern wirkten entschlossen, tatkräftig, sauber, sogar fröhlich, kümmerten sich um die Kleinen, machten

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