Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
ausgefeiltenund feierlichen Wünschen zu: »Zum Wohlsein!« »Auf dass er Ihrer Gesundheit zuträglich sei!« »Dasselbe möchte ich Ihnen wünschen!« »Ihnen ein langes Leben!« »Mögen Sie zu meiner Beerdigung kommen!« Manuel warf mir verstohlene Blicke zu, fühlte sich offenbar unbehaglich, bis ich ihn zur Seite nahm und ihm sagte, er könne beruhigt sein, ich würde schon nicht über die Flaschen herfallen. Sicher hat meine Großmutter ihn vorgewarnt, und er wollte den Alkohol aus meinem Blickfeld räumen; aber das wäre absurd, schließlich liegt es nicht an dem Zeug, sondern an mir.
Unterdessen schlichen Fákin und die beiden Kater argwöhnisch umeinander herum und teilten das Revier untereinander auf. Der getigerte heißt Dusselkater, weil er leider einen Dachschaden hat, der karottenrote ist der Literatenkater, weil er am liebsten auf dem Computer liegt; Manuel behauptet, er kann lesen.
Die Männer beendeten das Essen, tranken ihren Wein aus und verabschiedeten sich. Mich wunderte, dass Manuel keine Anstalten machte, sie zu bezahlen, so wenig wie die anderen, die ihm beim Transport geholfen hatten, aber es wäre mir taktlos erschienen, ihn danach zu fragen.
Manuel zeigte mir sein Arbeitszimmer auf der Galerie, wo zwei Schreibtische stehen, ein Aktenschrank mit Ordnern, Bücherregale, ein ziemlich neuer Rechner mit zwei Bildschirmen, ein Faxgerät und ein Drucker. Es gibt einen Internetanschluss, aber er erinnerte mich (unnötigerweise) daran, dass ich keine Mails schreiben soll. Dann meinte er noch etwas verlegen, er habe seine gesamte Arbeit auf diesem Rechner und sähe es lieber, wenn niemand außer ihm dort dranginge.
»Was arbeitest du?«
»Ich bin Anthropologe.«
»Anthropophage?«
»Ich erforsche die Menschen, ich esse sie nicht.«
»Himmel, das sollte ein Scherz sein. Euch Anthropologen geht doch langsam das Material aus; heutzutage hat auch der letzte Wilde ein Handy und einen Fernseher.«
»Ich bin nicht auf Wilde spezialisiert. Ich schreibe ein Buch über die Mythologie von Chiloé.«
»Und kriegst Geld dafür?«
»Wenig.«
»Man sieht, dass du nicht viel hast.«
»Ja, aber es reicht mir zum Leben.«
»Ich will dir nicht auf der Tasche liegen.«
»Du wirst arbeiten, um die Mehrkosten zu decken, Maya, das ist mit deiner Großmutter abgesprochen. Du kannst mir mit dem Buch helfen, und ab März arbeitest du bei Blanca in der Schule.«
»Ich warne dich: Ich habe von nichts Ahnung, null.«
»Was kannst du?«
»Kekse und Brot backen, Schwimmen, Fußball spielen und Samurai-Gedichte schreiben. Du solltest meinen Wortschatz sehen! Ich bin ein wandelndes Wörterbuch, allerdings ein englisches. Ich glaube kaum, dass du damit was anfangen kannst.«
»Wir werden sehen. Die Kekse haben Zukunft.« Mir kam es vor, als verkniffe er sich ein Lächeln.
»Hast du schon andere Bücher geschrieben?«, fragte ich und musste gähnen; die lange Reise steckte mir in den Knochen, und die fünf Stunden Zeitverschiebung zwischen Kalifornien und Chile machten mich schwer wie einen Sack mit Steinen.
»Nichts, womit ich berühmt werden könnte«, sagte er und zeigte auf einige Bücher auf seinem Schreibtisch: Traumwelt der australischen Ureinwohner, Initiationsriten der Stämme am Orinoco, Schöpfungsmythen der Mapuche in Südchile.
»Meine Nini sagt, Chiloé sei magisch.«
»Die ganze Welt ist magisch, Maya.«
Wenn man Manuel Arias glauben will, dann hat sein Haus eine sehr alte Seele. Meine Nini sagt ebenfalls, dass Häuser Erinnerungen und Empfindungen aufbewahren, sie kann ihre Schwingungen spüren. Sie weiß, ob die Luft in einem Raum mit schlechten Energien getränkt ist, weil sich dort Verhängnisvolles zugetragen hat, oder ob die Kraftfelder wohltuend sind. Ihr Haus in Berkeley besitzt eine gute Seele. Wenn wir wieder dort einziehen, muss einiges renoviert werden (es stürzt bald ein vor Altersschwäche), aber dann möchte ich darin wohnen bis ans Ende meiner Tage. Ich bin dort aufgewachsen, oben auf der Kuppe eines Hügels, wo der Blick über die Bucht von San Francisco eindrucksvoll wäre, stünden nicht zwei ausladende Kiefern davor. Mein Pop wollte sie nie fällen lassen, er sagte, Bäume würden leiden, wenn man sie verstümmelt, und mit ihnen litte die Vegetation im Umkreis von tausend Metern, weil unterirdisch alles miteinander verbunden sei; es wäre ein Verbrechen, zwei Kiefern zu töten wegen des Blicks auf eine Pfütze Wasser, die man ebenso gut vom Highway aus betrachten kann.
Der
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