Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Vergangenheit gefunden, der mich interessiert. Ich weiß, dass er nach dem Putsch über ein Jahr im Gefängnis war, dass er nach Chiloé verbannt wurde und 1976 das Land verlassen hat; ich weiß von seinen Frauen, seinen Scheidungen, seinen Büchern, aber ich weiß nichts über seine Klaustrophobie oder seine Albträume. Wenn ich das nicht herausfinde, werde ich ihm nicht helfen können und nie wirklich wissen, wer er ist.
Ich bin sehr gern mit Liliana Treviño zusammen. In ihrer Art ähnelt sie meiner Großmutter: tatkräftig, idealistisch, unnachgiebig und leidenschaftlich, aber sie ist nicht so herrisch. Sie sorgte dafür, dass wir mit dem Boot des Gesundheitsdiensts unauffällig zu Pater Lyon fahren konnten, auf Einladung des Arztes, mit dem sie zusammen ist. Er heißt Juan Pedraza, ist gerade vierzig geworden und damit viel älter, als er aussieht. Seit zehn Jahren arbeitet er hier in Chiloé, lebt von seiner Frau getrennt, kämpft gerade mit der Scheidungsbürokratie, deren Mühlen nervtötend langsam mahlen, und hat zwei Kinder, eins davon mit Down-Syndrom. Sobald die Scheidung durch ist, möchte er Liliana heiraten, obwohl die nicht sieht, wozu das gut sein soll; sie sagt, ihre Eltern hätten neunundzwanzig Jahre zusammengelebt und drei Kinder großgezogen ohne staatliche Beglaubigung.
Die Fahrt nahm kein Ende, weil das Boot mehrere Stopps einlegte, und es war schon vier Uhr nachmittags, als wir beim Pater ankamen. Pedraza ließ uns an Land gehen und setzte seine gewöhnliche Tour fort mit dem Versprechen, uns anderthalb Stunden später wieder abzuholen und nach Hause zu bringen. Der Hahn mit dem schillernden Gefieder und der greise Schafbock, die ich schon kannte, wachten an gewohntem Ort über das kleine Schindelhaus des Geistlichen. Im winterlichen Licht kam mir alles Übrige verändert vor; selbst die Plastikblumen auf dem Friedhofschienen verblasst. Pater Lyon erwartete uns mit Tee, süßen Törtchen, frisch gebackenem Brot, Käse und Wurst, alles aufgetragen von einer Nachbarin, die sich um ihn kümmert und ihn bevormundet, als wäre er ein kleines Kind. »Nun ziehen Sie schön Ihren Poncho über, und das Aspirin nehmen wir auch schön, ich bin hier nicht Ihre Krankenschwester, mein Lieber«, befahl sie ihm, und er grummelte. Als wir allein waren, bat er uns, die Törtchen zu essen, denn sonst müsse er es tun und in seinem Alter lägen sie einem wie Geröll im Magen.
Wir mussten vor Einbruch der Dunkelheit zurück, hatten also wenig Zeit und kamen deshalb gleich zur Sache.
»Vielleicht fragst du besser Manuel nach dem, was du wissen willst, Gringuita«, schlug der Pfarrer zwischen zwei Schlucken Tee vor.
»Das habe ich getan, Pater, aber er weicht mir aus.«
»Dann muss man sein Schweigen akzeptieren.«
»Verzeihen Sie, Pater, aber ich bin nicht hergekommen, um Ihnen aus reiner Neugier die Zeit zu stehlen. Manuels Seele ist krank, und ich möchte ihm helfen.«
»Seine Seele … Und davon verstehst du etwas, Gringuita?« Er sah mich spöttisch lächelnd an.
»Einiges. Als ich nach Chiloé kam, war meine Seele krank, Manuel hat mich bei sich aufgenommen und mir geholfen, gesund zu werden. Jetzt bin ich an der Reihe, etwas für ihn zu tun, finden Sie nicht?«
Der Priester erzählte uns vom Militärputsch, von der gnadenlosen Hetzjagd danach und von seinem Einsatz für die Gefangenen, der aber nicht lange währte, weil er ebenfalls festgenommen wurde.
»Ich hatte mehr Glück als viele andere, Gringuita, der Kardinal persönlich holte mich nach nicht einmal zwei Tagen raus, aber gegen meine Verbannung konnte ich nichts machen.«
»Was geschah mit den Gefangenen?«
»Unterschiedlich. Du konntest der Geheimpolizei in die Hände fallen, der DINA oder späteren CNI, der herkömmlichen Polizei oder dem Sicherheitsdienst, der zu den Streitkräften gehörte. Manuel war erst im Nationalstadion und danach in der Villa Grimaldi.«
»Warum will er nicht darüber sprechen?«
»Es ist möglich, dass er sich nicht erinnert. Manchmal blockiert die Psyche traumatische Erfahrungen und wehrt sich damit gegen Wahnsinn oder Depression. Ein Beispiel. Aus meiner Zeit bei der Gefangenenhilfe. 1974 führte ich ein Interview mit einem Mann, der gerade aus einem der Foltergefängnisse entlassen worden war. Er war körperlich und seelisch am Ende. Ich zeichnete das Gespräch auf. Das taten wir damals immer. Wir konnten ihn außer Landes schaffen, und ich sah ihn lange nicht wieder. Fünfzehn Jahre später war ich in
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