Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
als Daniel hier war, und dann in diesem Monat, weil die Küstenwacht wegen einer Sturmwarnung das Auslaufen verboten hatte und Blanca und ich nicht auf die Isla Grande konnten. Es tat mir sehr leid, denn wir wollten das Neugeborene von einer der Frauen segnen, und ich hatte mich schon darauf gefreut, es zu beschnüffeln. Ich mag Kinder, wenn sie einem noch nicht widersprechen. Unser monatlicher Hexensabbat im Bauch der Pachamama und diese jungen, sinnlichen Frauen, die im Kopf und in der Seele gesund sind, haben mir sehr gefehlt. Bei ihnen fühle ich mich angenommen, ich bin nicht die Gringa, ich bin Maya, eine der Hexen, und ich gehöre auf diese Erde. Wenn wir in Castro sind, bleiben wir immer für ein oder zwei Nächte bei Don Lionel, in den ich mich verliebt hätte, hätten mir die Sterne nicht Daniel zugespielt. Der Mann ist genauso unwiderstehlich wie der mythische Millalobo, ein Trumm von einem Kerl, überschäumend, schnauzbärtig, wollüstig. »Was du ein Glück hast, du Kommunist!«, ruft er jedes Mal, wenn er Manuel sieht, »dass dir diese wunderbare Gringuita ins Haus geschneit ist!«
Das Verfahren im Fall Azucena Corrales wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt, nichts deutete darauf hin, dass der Abbruch vorsätzlich herbeigeführt war, was der Vorteil ist bei einem konzentrierten Sud aus Avocadoblättern und Borretsch. Wir haben die Kleine nicht wiedergesehen, sie lebt jetzt in Quellón bei ihrer älteren Schwester, der Mutter von Juanito, die ich bis heute nicht kennengelernt habe. Nach dem Vorfall stellten die beiden Polizisten Cárcamo und Garay auf eigene Faust Nachforschungen über die Vaterschaft des toten Kindes an und vermuteten schließlich, was alle schon wussten, dass Azucena genau wie ihre Schwester vom eigenen Vater vergewaltigt worden war. Das ist »privatim«, sagt man hier, und keiner fühlt sich berechtigt einzugreifen, wenn etwas hinter geschlossenenTüren geschieht. Die dreckige Wäsche wird zu Hause gewaschen.
Die Polizisten wollten die Frauen der Familie zu einer Anzeige überreden, dann hätten sie von Rechts wegen etwas unternehmen können, es gelang ihnen aber nicht. Auch Blanca brachte Azucena oder Eduvigis nicht dazu. Es gingen Gerüchte und Beschuldigungen um, jeder im Dorf hatte eine Meinung zu der Sache, und am Ende löste sich der Skandal in Geplapper auf; doch unverhofft fand die Angelegenheit ein gerechtes Ende, als Carmelo Corrales an dem Fuß, der im geblieben war, Wundbrand bekam. Er wartete, bis Eduvigis in Castro war, wo sie die Formalitäten für die zweite Amputation erledigte, und spritzte sich seinen gesamten Vorrat an Insulin. Sie fand ihn bewusstlos und hielt ihn fest, bis er Minuten später starb. Niemand, auch keiner der Polizisten, verlor ein Wort über den Selbstmord; stillschweigend kam man überein, der Mann sei eines natürlichen Todes gestorben, damit er christlich bestattet werden konnte und der Familie, die schon genug durchgemacht hatte, eine weitere Demütigung erspart blieb.
Carmelo Corrales wurde beigesetzt, ohne dass auf den Wanderpriester gewartet wurde, der Kirchenhelfer hob in der kurzen Andacht das handwerkliche Geschick des verstorbenen Bootsbauers hervor, das einzig Gute, was ihm zu sagen einfiel, und anempfahl seine Seele der Gnade Gottes. Aus Mitleid mit der Familie waren eine Handvoll Leute gekommen, darunter Manuel und ich. Blanca war so wütend über das, was mit Azucena geschehen war, dass sie sich auf dem Friedhof nicht blicken ließ, kaufte aber in Castro einen Kranz aus Plastikblumen fürs Grab. Keins von Carmelos Kindern war zur Beerdigung gekommen, nur Juanito stand da in seinem zu klein gewordenen Kommunionsanzug an der Hand seiner Großmutter, die von Kopf bis Fuß Trauer trug.
Wir sind gerade vom Fest von Jesus von Nazareth auf der Insel Caguach zurück. Tausende Pilger reisten an, sogar aus Argentinien und Brasilien, die meisten standen dicht gedrängt auf Lastkähnen, die zwei- bis dreihundert Leute fassen, aber man sah auch kleine Fischerboote. Die Schiffe schwankten bedenklich in der aufgewühlten See, und am Himmel hingen schwere Gewitterwolken, aber niemand wirkte beunruhigt, denn man glaubt, die Jesusfigur beschütze die Pilger. Was nicht stimmen kann, denn in der Vergangenheit ist schon mehr als ein Boot gekentert, und einige Gläubige sind in den Fluten ertrunken. In Chiloé ertrinken viele Leute, weil niemand schwimmen kann außer den Angehörigen der Marine, die es notgedrungen lernen.
Die sehr wundertätige
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