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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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bleibt.
    Blanca hat sich in der Schule vertreten lassen und ist gleich nach Santiago gekommen, als ich sie anrief und ihr von der Operation erzählte. Sie hat sich tagsüber wie eine Mutter um Manuel gekümmert, während ich meine Nachforschungen anstellte. Abends ging sie zum Schlafen zu einer Schwester, und ich schlief bei Manuel in der Klinik auf einem Sofa, das bequemer war als mein Bett in Chiloé. Das Kantinenessen hatte ebenfalls fünf Sterne verdient. Ich konnte mich zum ersten Mal seit Monaten hinter einer geschlossenen Tür duschen, aber nach dem, was ich inzwischen weiß, werde ich Manuel nie wieder damit nerven können, dass er bei sich daheim Türen einbauen soll.
    Santiago hat sechs Millionen Einwohner und wächst mit seinen neuen Hochhausvierteln rauschhaft weiter in die Höhe. Die Stadt ist umgeben von Hügeln und schneebedeckten Bergen, sie ist sauber, wohlhabend und hektisch und besitzt einige gepflegte Parks. Der Verkehr ist rücksichtslos, denn die Chilenen, sonst so freundlich, lassen am Steuer ihren gesamten Frust ab. Zwischen den Autos wuseln Straßenhändler herum, bieten Obst, Fernsehantennen,Pfefferminzbonbons und allen erdenklichen Krimskrams feil, und an jeder Ampel zeigen Gaukler halsbrecherische Zirkusnummern und gehen mit dem Hut rum. Wir hatten Glück mit dem Wetter, auch wenn man manchmal wegen der Luftverschmutzung die Farbe des Himmels nicht erkennen konnte.
    Eine Woche nach dem Eingriff reisten wir zurück nach Chiloé, wo die Tiere auf uns warteten. Fákin begrüßte uns mit einem jämmerlichen Tanz, und man konnte seine Rippen zählen, weil er nicht hatte fressen wollen, während wir fort waren, wie uns Juanito zerknirscht erzählte. Wir fuhren gegen die Empfehlung von Dr. Puga heim, denn Manuel wollte nicht einen ganzen Monat im Haus von Blancas Schwester in Santiago bleiben, wo wir störten, wie er sagte. Blanca bat mich, vor ihrer ultrarechten Familie mit keinem Wort zu erwähnen, was wir über Manuels Vergangenheit herausgefunden hatten, denn das wäre sehr schlecht angekommen. Man kümmerte sich rührend um uns, und alle, sogar die halbwüchsigen Kinder, erboten sich, Manuel zu den Untersuchungen in die Klinik zu begleiten, und sahen nach ihm.
    Ich teilte ein Zimmer mit Blanca und bekam einen Eindruck davon, wie die Reichen in ihren eingezäunten Wohngegenden leben, mit Hausangestellten, Gärtnern, Pool, Rassehunden und drei Autos. Man brachte uns das Frühstück ans Bett, ließ uns Bäder mit Aromasalzen ein und bügelte sogar meine Jeans. So etwas hatte ich noch nie erlebt, und ich war ziemlich angetan; ich könnte mich im Nu ans Reichsein gewöhnen. »Die sind gar nicht richtig reich, Maya, sie haben keinen Privatjet«, spottete Manuel, als ich das ihm gegenüber erwähnte. »Du hast die Mentalität eines armen Schluckers, das ist das Problem mit euch Linken«, sagte ich und dachte an Mike O’Kelly und meine Nini, die aus Berufung arm sind. Ich bin da anders, mir kommen Gleichheit und Sozialismus gewöhnlich vor.
    In Santiago strengten mich die Luftverschmutzung, der Verkehr und die Anonymität an. In Chiloé erkennt man die Auswärtigen daran, dass sie auf der Straße nicht grüßen, in Santiago glaubt man, wer auf der Straße grüßt, sei nicht ganz dicht. Im Aufzug der Clínica Alemana grüßte ich wie eine Blöde, und die Angesprochenen starrten Löcher in die Wand, um nicht antworten zu müssen. Ich mochte Santiago nicht und konnte es kaum erwarten, zurück auf unsere Insel zu kommen, wo das Leben ein ruhiger Fluss und die Luft sauber ist, man Stille und Zeit findet, um seine Gedanken zu Ende zu denken.
    Es wird noch etwas dauern, bis Manuel wieder ganz auf dem Damm ist, der Kopf tut ihm noch weh, und er schwächelt ein bisschen. Die Anweisungen von Dr. Puga waren unmissverständlich, er muss ein halbes Dutzend Pillen am Tag schlucken, bis Dezember weitgehend Ruhe halten, dann noch einmal für eine CT nach Santiago, sollte körperliche Anstrengung bis an sein Lebensende vermeiden und, je nach Glaubensrichtung, auf sein Glück oder auf Gott vertrauen, denn der Platindraht ist keine unfehlbare Einrichtung. Vielleicht könnte es nicht schaden, wenn wir uns für alle Fälle an eine Machi wenden …
    Blanca und ich haben beschlossen, auf eine günstige Gelegenheit zu warten, um mit Manuel über das zu sprechen, worüber wir sprechen müssen. Wir wollen ihn nicht unter Druck setzen. Im Moment pflegen wir ihn, so gut wir können. Er ist daran gewöhnt, dass Blanca und

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