Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
wissen.
»Nein, aber geben gibt es sie, wie man in Spanien sagt.«
»Sag schon: Ja oder nein!«
»Man kann die Nichtexistenz von etwas nicht beweisen, Maya, aber du kannst beruhigt sein, ich lebe hier schon seit vielen Jahren, und die einzige mir bekannte Hexe ist Blanca.«
Blanca glaubt an nichts von alldem. Sie hält die Invunches für eine Erfindung der Missionare, die erreichen wollten, dass die Familien in Chiloé ihre Kinder taufen ließen, aber das scheint mir doch ein zu krasses Mittel, selbst für Jesuiten.
»Kennst du einen gewissen Mike O’Kelly? Ich habe eine völlig unverständliche Mail von ihm bekommen«, sagte Manuel.
»Wow, Post von Schneewittchen! Das ist ein irischer Freund unserer Familie, er ist hundertprozentig vertrauenswürdig. Bestimmt war es Ninis Idee, sicherheitshalber über ihn Kontakt mit uns aufzunehmen. Kann ich ihm zurückschreiben?«
»Nicht direkt, aber ich kann ihm Grüße von dir schicken.«
»Wenn du mich fragst, sind diese Vorsichtsmaßnahmen übertrieben, Manuel.«
»Deine Großmutter hat bestimmt gute Gründe, auf der Hut zu sein.«
»Meine Großmutter und Mike O’Kelly sind Mitglieder im Verbrecherclub und würden einiges dafür geben, mal in ein echtes Verbrechen verwickelt zu sein, sie müssen aber mit dem Gangsterspielen vorliebnehmen.«
»Was ist das für ein Club?« Manuel sah mich beunruhigt an.
Ich erklärte es ihm von vorn. Die Bibliothek von Berkeley County hatte meine Nini schon elf Jahre vor meiner Geburt angestellt, damit sie Kindern nach Schulschluss Geschichten erzählte, wenn die Eltern noch bei der Arbeit waren. Nach kurzer Zeit schlug meine Nini der Bibliothek vor, das Angebot um Detektivgeschichten für Erwachsene zu erweitern, und man gab ihr freie Hand. Also gründete sie zusammen mit Mike O’Kelly den Verbrecherclub, wie die beiden ihn gern nannten, obwohl er im Bibliotheksprogramm unter dem Namen »Krimiclub« beworben wird. Zur Kinderstunde war ich eins von vielen kleinen Kindern, die meiner Großmutter an den Lippen hingen, und manchmal, wenn sie keine Betreuung für mich fand, nahm sie mich auch zu den Erwachsenen mit in die Bibliothek. Vor den Kindern saß meine Nini wie ein Fakir im Schneidersitz auf einem dicken Kissen und fragte, was sie hören wollten, jemand schlug etwas vor, und sie ließ sich in Windeseile eine Geschichte dazu einfallen. Es hat sie immer gestört, wie Geschichten für Kinder hingebogen werden, damit sie gut enden; sie meint, im Leben gibt es kein Ende, sondern nur Übergänge, man irrt hier und da herum, stolpert, verläuft sich. Dass der Held belohnt und der Schuft bestraft werden muss, empfindet sie als Einschränkung, doch wenn sie ihren Job behalten will, muss sie der gängigen Dramaturgie folgen, die Hexe darf nicht ungestraft die Jungfrau vergiften und dann in Weiß den Prinzen heiraten. Meiner Nini sind die erwachsenen Zuhörer lieber, weil perfide Morde kein glückliches Ende nehmen müssen. Sie ist sehr gut vorbereitet, hat alle möglichen Kriminalfälle und Lehrbücher der Forensik studiert und behauptet, sie könne zusammen mit Mike O’Kelly ohne weiteres eine Autopsie auf unserem Küchentisch durchführen.
Der Verbrecherclub besteht aus einem Kreis von Leuten, die Krimis lieben, keiner Fliege etwas zuleide tun können und ihre Freizeit damit verbringen, monströse Morde zu planen. Angefangen hat alles in der Bibliothek von Berkeley, ist aber mittlerweile dank Internet über den ganzen Globus verbreitet. Der Club bekommt keine öffentlichen Gelder, da sich die Mitglieder jedoch in einem städtischen Gebäude treffen, gab es ungehaltene Stimmen in der Lokalpresse, mit dem Geld der Steuerzahler werde das Verbrechen gestärkt. »Ich weiß nicht, was die wollen. Ist doch besser, man redet über Verbrechen, als dass man sie begeht, oder?«, rechtfertigte sich meine Nini gegenüber dem Bürgermeister, als der sie zum Gespräch in sein Büro zitierte.
Die Freundschaft zwischen meiner Nini und Mike O’Kelly begann in einem Antiquariat, wo beide die Kisten mit Krimis durchstöberten. Sie hatte erst vor kurzem meinen Pop geheiratet, und Mike studierte an der Universität, konnte noch beide Beine gebrauchen und dachte damals nicht daran, sich dem sozialen Engagement zu widmen und straffällige Jugendliche von der Straße oder aus dem Knast zu holen. Aber seit ich denken kann, hat meine Großmutter Kekse für die Jungs von O’Kelly gebacken, fast ausnahmslos Schwarze oder Latinos, die zu den Ärmsten der
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