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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Wodka auf die alten Zeiten trinken, die fürchterlich waren, aber etwas fetziger als die heutigen. Es sind flüchtige Anwandlungen, nicht zu vergleichen mit der Panik des Entzugs, die ich früher erlebt habe. Ich will mein Versprechen auf jeden Fall halten, kein Alkohol, keine Drogen, kein Telefon, keine Mails, und im Grunde fällt es mir leichter als gedacht. Seit wir das besprochen haben, versteckt Manuel die Weinflaschen nicht mehr. Ich habe ihm gesagt, er soll seine Gewohnheiten nicht wegen mir ändern, Alkohol gibt es überall, und dafür, dass ich nüchtern bleibe, bin nur ich selbst verantwortlich. Er hat es verstanden und ist jetzt nicht weiter beunruhigt, wenn ich in die »Taverne zum lieben Toten« gehe, weil etwas im Fernsehen kommt oder ich beim Truco zuschauen will, einem argentinischen Kartenspiel, das man mit spanischem Blatt spielt und bei dem die Spieler mit jedem Zug aus dem Stegreif Verse aufsagen.
    Manche Eigenarten hier auf der Insel gefallen mir sehr, wie dieses Trucospiel, aber andere gehen mir inzwischen auf den Senkel. Wenn ich den Chucao, einen kleinen schreifreudigen Vogel, links von mir höre, dann bedeutet das Unglück, und ehe ich weitergehe, sollte ich ein Kleidungsstück ausziehen und es auf links gedreht wieder überstreifen; muss ich im Dunkeln irgendwo hin, sollte ich ein sauberes Messer und Salz mitnehmen, denn wenn mir ein schwarzer Hund begegnet, dem ein Ohr fehlt, dann ist das ein Hexer, und um ihn loszuwerden, muss ich mit dem Messer ein Kreuz in die Luft zeichnen und Salz verstreuen. Der Durchfall, der mich nach meiner Ankunft in Chiloé fast ins Jenseits beförderte, war keine gewöhnliche Infektion, sonst hätten die Antibiotika des Arztes ja geholfen, sondern ein Fluch, was man daran sehen kann, dass Eduvigis mich durch ihre Gebete, die Myrte-, Leinsamen- und Melissetees und die Einreibungen meines Bauchs mit Metallputzpaste geheilt hat.
    Das »Nationalgericht« der Chiloten ist Curanto, und das beste Curanto gibt es auf unserer Insel. Es war Manuels Idee, es zur Touristenattraktion zu machen und damit etwas gegen die Isolation des Dorfs zu tun, das nur wenige Besucher anlockt, weil die Jesuiten uns keine ihrer Holzkirchen hinterlassen haben und es hier keine Pinguine oder Wale gibt, nur Schwäne, Flamingos und Delfine, die man überall in der Gegend reichlich sieht. Zusätzlich streute Manuel das Gerücht, hier befinde sich die Höhle der Pincoya, was nicht zu widerlegen ist, denn die genaue Lage der Grotte ist umstritten, und etliche Inseln reklamieren sie für sich. Jetzt sind die Höhle und das Curanto unsere Highlights.
    Die Nordwestküste der Insel besteht aus schroffen Klippen, gefährliche Gewässer für Schiffe, aber ausgezeichnete Fischgründe; dort liegt eine Unterwassergrotte, die nur bei Ebbe zu sehen ist, das perfekte Reich für die Pincoya, die zu den wenigen liebenswürdigen Gestalten zwischen den vielen grausigen chilotischen Fabelwesen gehört, denn sie hilft Fischern und Seeleuten in Not. Die Pincoya ist ein schönes junges Mädchen mit langem Haar und einem Kleid aus Seetang, und wenn sie mit dem Gesicht zum Meer tanzt, dann bedeutet das Glück beim Fischen, doch wenn sie an Land schaut, ist wenig zu holen und man sollte die Netze woanders auswerfen. Da die Pincoya fast noch nie gesehen wurde, ist diese Information nutzlos. Obendrein sollte man, wenn man sie sieht, schnell die Augen schließen und von ihr fortlaufen, denn sie verführt die Wollüstigen und zieht sie mit sich auf den Grund des Meeres.
    Der Weg vom Dorf zur Grotte ist mit festen Schuhen und gutem Mut in fünfundzwanzig Minuten über einen steilen Pfad bergauf zu schaffen. Ganz oben stehen wie Herrscher über die Gegend ein paar einzelne Araukarien, und man hat einen schönen Blick in den Himmel, übers Meer und die nahen unbewohnten Inselchen. Einige liegen so dicht beieinander, dass man sich bei Ebbe von einem Ufer zum anderen rufend verständigen könnte. Von dort oben sieht die Grotte aus wie ein großer, zahnloser Mund. Über die von Möwenkot bedeckten Felsen kann man nach unten kraxeln, auf die Gefahr hin, sich den Hals zu brechen, oder man nähert sich, sofern man die Strömungen und Klippen kennt, mit dem Kajak an der Küste entlang. Es bedarf allerdings einiger Phantasie, sich den Unterwasserpalast der Pincoya vorzustellen, außer dem Hexenschlund ist nämlich nichts zu sehen. Vor einigen Jahren wollten ein paar deutsche Touristen zu der Höhle schwimmen, aber die Polizei hat es

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