Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
und zu Hause kam er die Treppe in den ersten Stock nicht hoch, wir mussten ihm unten das Sofa im Arbeitszimmer herrichten, auf dem er schlief, bis wir ein Pflegebett bekamen. Meine Nini schlief an seiner Seite, zusammengerollt wie eine Katze.
So leidenschaftlich wie sie sich sonst in aussichtslose politische und humanitäre Gefechte stürzte, legte sich meine Großmutter jetzt mit dem lieben Gott an, um das Leben ihres Mannes zu retten, bat erst, betete und versprach und drohte ihm dann, Atheistin zu werden. »Warum gegen den Tod kämpfen, Nidia? Früher oder später gewinnt er ja doch«, spottete mein Pop. Da die Schulmedizin mit ihremLatein am Ende war, versuchte sie es mit alternativen Heilmethoden, mit Kräutern, Kristallen, Akupunktur, Schamanen, Aura-Massage und einem Mädchen aus Tijuana, das die Wundmale trug und übersinnlich zu wirken verstand. Ihr Mann ließ ihre Spinnereien gutgelaunt geschehen wie von jeher. Erst versuchten mein Vater und Susan noch, die beiden vor den vielen Scharlatanen zu schützen, die von der Möglichkeit Wind bekommen hatten, meine Nini auszunehmen, aber schließlich sahen sie ein, dass diese verzweifelten Versuche ihr etwas zu tun gaben, während die Tage verstrichen.
In den letzten Wochen ging ich nicht mehr zur Schule. Ich zog in die verwunschene Villa, weil ich meiner Nini helfen wollte, war aber schwermütiger als der Kranke, und sie musste sich um uns beide kümmern.
Susan war die Erste, die es wagte, die Hospice Foundation zu erwähnen. »Die ist für Leute, die sterben, und Paul stirbt nicht!«, wehrte sich meine Nini, musste aber schließlich nachgeben. Carolyn kam zu uns, eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Hospizstiftung, die sanft war und uns sehr erfahren erklärte, was uns bevorstand und wie ihre Organisation uns kostenlos unterstützen könne, damit es der Kranke weiter so gut wie möglich hatte, wir Trost und psychologischen Beistand bekamen und uns der Papierkram für die medizinische Versorgung und die Beerdigung abgenommen würde.
Mein Pop wollte unbedingt zu Hause sterben. Die Krankheit schritt in den Phasen und Zeiträumen fort, wie von Carolyn vorhergesagt, trotzdem traf es mich unvorbereitet, weil ich wie meine Nini erwartet hatte, ein göttliches Eingreifen werde das Unglück noch abwenden. Der Tod stößt anderen zu, nicht denen, die wir am meisten lieben, und erst recht nicht meinem Pop, der das Zentrum meines Lebens war, das Kraftfeld, das die Welt zusammenhielt; ohne ihn würde ich ohne Anker sein und das leiseste Lüftchen würdemich fortwehen. »Du hast mir geschworen, dass du niemals stirbst, Pop!« »Nein, Maya, ich sagte, ich würde immer bei dir sein, und ich habe vor, mein Versprechen zu halten.«
Die Mitarbeiter der Hospizstiftung richteten das Pflegebett vor dem breiten Fenster im Wohnzimmer ein, damit sich mein Pop nachts vorstellen konnte, wie die Sterne und der Mond ihn beschienen, denn sehen konnte er sie durch die Kronen der Kiefern nicht. Sie legten ihm am Brustkorb einen Port, über den er mit Medikamenten versorgt werden konnte, so dass man keine Spritzen setzen musste, und sie zeigten uns, wie wir ihn bewegen, ihn waschen und die Laken wechseln konnten, ohne ihn aus dem Bett zu holen. Carolyn sah häufig nach ihm, sprach mit dem Arzt, dem Krankenpfleger und der Apotheke; mehr als einmal kaufte sie für uns ein, wenn niemand von der Familie die Kraft aufbrachte, in den Laden zu gehen.
Mike O’Kelly kam auch zu Besuch. Er steuerte seinen elektrischen Rollstuhl wie einen Rennwagen und hatte oft zwei von seinen ehemaligen Gang-Kids dabei, damit sie den Müll rausbrachten, den Staubsauger anwarfen, den Hof fegten oder sich sonst im Haus nützlich machten, während er mit meiner Nini in der Küche Tee trank. Die beiden hatten sich wegen einer Demonstration gegen Abtreibung, die O’Kelly als gläubiger Katholik ohne Wenn und Aber ablehnt, sehr gestritten und waren sich ein paar Monate aus dem Weg gegangen, doch die Krankheit meines Großvaters brachte sie wieder zusammen. Auch wenn sie zuweilen extrem unterschiedliche Ansichten vertreten, können sie nicht dauerhaft miteinander im Clinch liegen, dafür mögen sie sich zu gern und haben zu viel gemeinsam.
War mein Pop wach, unterhielt sich Schneewittchen eine Weile mit ihm. Eine echte Freundschaft war zwischen den beiden nicht entstanden, ich glaube, sie waren ein bisschen eifersüchtig aufeinander. Einmal hörte ich, wie Mike O’Kelly zu meinem Pop etwas über Gott sagte, unddachte,
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