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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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aber er tat es nicht.
    Ich lag angezogen auf dem Wohnzimmersofa, schlief halb, wachte mit einem Auge und wusste es deshalb als Erste, als der Abschied kam. Ich lief meine Nini wecken, die ein Schlafmittel genommen hatte, um ein bisschen auszuruhen, und rief meinen Vater und Susan an, die zehn Minuten später bei uns waren.
    Meine Großmutter schlüpfte im Nachthemd ins Bett ihres Mannes und legte ihren Kopf an seine Brust, wie sie das immer zum Schlafen getan hatte. Auf der anderen Bettseite beugte auch ich mich zu seiner Brust hinunter, die früher für uns beide gereicht hatte, in der es jetzt aber kaum noch pochte. Sein Atem ging ganz flach und schien für lange Augenblicke auszusetzen, doch plötzlich schlug er die Augen auf, ließ seinen Blick über meinen Vater und Susan gleiten, die lautlos weinend bei ihm standen, hob mühsam seinegroße Hand und legte sie auf meinen Kopf. »Wenn ich den Planeten finde, nenn ich ihn nach dir, Maya«, war das Letzte, was er sagte.
    In den drei Jahren seit dem Tod meines Großvaters habe ich sehr selten über ihn gesprochen. Und mir damit in Oregon einigen Ärger mit den Therapeuten eingehandelt, weil die mich zwingen wollten, »meine Trauer zu bewältigen«, oder sonst einen Mist. Manche Leute glauben ja ernsthaft, eine Trauer sei wie die andere und es gäbe Patentrezepte und Fristen, um damit fertigzuwerden. Die stoische Haltung meiner Nini scheint mir da schon passender: »Jetzt heißt es leiden, also Zähne zusammenbeißen«, sagte sie. Und dass ein solcher Schmerz, ein Schmerz der Seele, nicht durch Medikamente, Therapie oder Urlaub verschwindet; dass ein solcher Schmerz einfach durchlitten sein will, gründlich durchlitten, ohne Linderung, wie es sich gehört. Ich hätte gut daran getan, ihrem Beispiel zu folgen, anstatt so zu tun, als litte ich nicht, und jeden Klagelaut, der mir die Brust durchbohrte, in meinem Innern zu ersticken. In Oregon verschrieben sie mir Antidepressiva, die ich nicht nahm, weil sie mich blöd im Kopf machten. Die Einnahme wurde überwacht, aber ich trickste sie aus, hatte unbemerkt einen Kaugummi im Mund, in den ich die Tablette mit der Zunge drückte, und spuckte sie wenig später unversehrt aus. Meine Traurigkeit war meine Gefährtin, ich wollte sie nicht einfach loswerden wie eine Erkältung. Außerdem wollte ich meine Erinnerungen nicht mit diesen wohlgesinnten Therapeuten teilen, weil alles, was ich ihnen über meinen Großvater gesagt hätte, nur banal klingen konnte. Und doch vergeht hier auf dieser Insel in Chiloé kein Tag, an dem ich Manuel nicht etwas von meinem Pop erzähle. Die zwei sind sehr verschieden, haben aber beide etwas von einem großen Baum, bei dem ich mich geborgen fühle.
    Mit Manuel habe ich gerade einen seltenen Moment der Verbundenheit erlebt, wie ich sie oft mit meinem Pop hatte. Ich sah, wie er bei Sonnenuntergang aus dem Fenster schaute und wollte wissen, was er machte.
    »Atmen.«
    »Atmen tu ich auch. Das meine ich nicht.«
    »Bevor du mich unterbrochen hast, Maya, habe ich geatmet, weiter nichts. Wenn du wüsstest, wie schwierig das ist, zu atmen, ohne zu denken.«
    »Das nennt man Meditation. Meine Nini meditiert andauernd, sie behauptet, dann spürt sie meinen Pop an ihrer Seite.«
    »Und du? Spürst du ihn?«
    »Früher nicht, weil ich innerlich wie eingefroren war und überhaupt nichts gespürt habe. Aber jetzt kommt es mir vor, als wäre mein Pop hier irgendwo, irgendwie um mich   …«
    »Was ist denn jetzt anders?«
    »Na, alles, Manuel. Erstens bin ich nüchtern, und außerdem gibt es hier Ruhe, Stille und Weite. Zu meditieren wie meine Nini würde mir guttun, aber ich kann das nicht, ich denke ständig, und mein Kopf ist voller Ideen. Meinst du, das ist schlecht?«
    »Kommt auf die Ideen an …«
    »Ein zweiter Avicenna bin ich nicht, da hat meine Großmutter recht, aber meine Ideen sind gut.«
    »Zum Beispiel?«
    »Gerade fällt mir keine ein, aber sobald ich wieder eine habe, die genial ist, sage ich es dir. Du denkst zu viel über dein Buch nach, verschwendest aber keinen Gedanken an Wichtigeres, etwa daran, wie deprimierend dein Leben war, ehe ich gekommen bin. Und was soll aus dir werden, wenn ich wieder gehe? Denk an die Liebe, Manuel. Jeder braucht eine Liebe im Leben.«
    »Aha. Und wo ist deine?«, sagte er lachend.
    »Ich kann warten, ich bin neunzehn und habe das Leben vor mir; du bist neunzig und kannst in den nächsten fünf Minuten tot sein.«
    »Ich bin erst zweiundsiebzig, aber es

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