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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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mich.
    »Entschuldige. Ich konnte nicht schlafen, und du hattest einen Albtraum. War wohl dumm von mir, in dein Zimmer zu kommen …«
    »Sehe ich auch so.«
    »Schau mich doch nicht an wie eine alte Jungfer, Manuel. Man könnte ja meinen, ich hätte ein unverzeihliches Verbrechen verübt. Ich bin dir nicht an die Wäsche gegangen oder so.«
    »Zum Glück«, sagte er ernst.
    »Darf ich dich was Persönliches fragen?«
    »Kommt drauf an.«
    »Ich schaue dich an und sehe einen Mann, auch wenn du alt bist. Aber du behandelst mich wie deine Katzen. Du siehst mich nicht als Frau, oder?«
    »Ich sehe dich, Maya. Deshalb möchte ich dich bitten, dass du nicht mehr zu mir ins Bett kommst. Nie mehr. Ist das klar?«
    »Ja, ist klar.«
    Auf dieser lieblichen Insel in Chiloé scheint mir meine frühere Unruhe unbegreiflich. Ich weiß nicht, was das für ein Stachel war, der mich früher im Innern fortwährend gepiesackt hat, warum ich ständig mal dies, mal das getan habe, immer auf der Suche war, ohne zu wissen, wonach; ich kann meine Handlungen und Gefühle der letzten drei Jahre nicht mehr richtig nachvollziehen, als wäre die Maya Vidal von damals eine andere Person gewesen, eine Unbekannte. Das habe ich Manuel in einem unserer seltenen intimeren Gespräche erzählt, die wir führen, wenn wir allein sind, es draußen regnet, der Strom abgestellt ist und er sich nicht vor meinem Geplauder an den Computer flüchten kann, und er meinte dazu, Adrenalin mache süchtig, man gewöhne sich an ein Leben wie auf glühenden Kohlen, könne auf die Dramatik nicht verzichten, das sei ja auch spannender als die Normalität. Außerdem suche man in meinem Alter nicht nach Seelenfrieden, sondern nach Abenteuern, mein Exil in Chiloé sei zwar eine Auszeit, aber jemand wie ich könne nie dauerhaft so leben. »Willstdu damit sagen, je früher ich dein Haus verlasse, desto besser, meinst du das?«, fragte ich ihn. »Desto besser für dich, Maya, nicht für mich«, antwortete er. Ich glaube ihm, denn wenn ich gehe, wird er sich einsamer fühlen als eine Muschel.
    Adrenalin macht wirklich süchtig. In Oregon gab es ein paar Fatalisten, die hatten sich in ihrem Unglück bestens eingerichtet. Glück hat etwas Seifiges, es glitscht einem durch die Finger, an Problemen dagegen kann man sich festklammern, sie sind rau und hart und geben Halt. Dort im Internat hatte ich meinen eigenen russischen Roman am Laufen: Ich war böse, schändlich und verderbt, enttäuschte und verletzte die Menschen, die mich am meisten liebten, hatte mein Leben verpfuscht. Hier auf der Insel fühle ich mich dagegen fast immer als guter Mensch, als wäre ich mit der veränderten Umgebung in eine andere Haut geschlüpft. Hier kennt niemand außer Manuel meine Vergangenheit; die Leute vertrauen mir, für sie bin ich eine Studentin auf Urlaub, die Manuel bei der Arbeit zur Hand geht, ein unbedarftes und gesundes junges Ding, das im eiskalten Meer schwimmt und Fußball spielt wie ein Mann, eine Gringa, die ein bisschen spinnt. Ich habe nicht vor, sie eines Besseren zu belehren.
    Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, fühle ich mich schuldig wegen dem, was ich getan habe, aber dieses stechende Gefühl verflüchtigt sich bei Tagesanbruch mit dem Duft der Holzscheite im Ofen, Fákins Pfote, die an der Bettdecke kratzt, damit ich ihn raus in den Hof lasse, mit Manuels allergischem Räuspern, wenn er ins Bad geht. Ich schlage die Augen auf, gähne, räkele mich und atme durch. Ich muss nicht auf die Knie sinken und mir gegen die Brust schlagen oder für meine Fehler mit Tränen und Blut büßen. Mein Pop hat das Leben einmal mit einem Wandteppich verglichen, an dem man Tag für Tag weiterknüpft mit Fäden in vielen Farben, manche davon grob und dunkel,andere zart und strahlend, jeder Faden ist zu gebrauchen. Die Dummheiten, die ich begangen habe, sind schon in dem Teppich verewigt, man kriegt sie dort nicht mehr weg, sie werden mich aber auch nicht bis ans Ende meiner Tage belasten. Was geschehen ist, ist geschehen; ich muss nach vorn schauen. In Chiloé gibt es nichts, was die Feuer der Verzweiflung nähren würde. In diesem Haus aus Zypressenholz kommt das Herz zur Ruhe.
    Im Juni 2008 endete für mich das Programm im Internat in Oregon, in dem ich so lange gefangen gewesen war. In wenigen Tagen würde ich durch die Tür nach draußen spazieren, und vermissen würde ich nur die Vicuñas und Steve, den Lieblingsbetreuer der weiblichen Schülerschaft. Ich war ein bisschen in ihn

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