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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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seiner Familie, bis man ihm im letzten September das Bein amputierte. Jetzt kriegt er Juanito und Azucena nicht mehr zu fassen, um ihnen eins mit dem Gürtel überzuziehen, aber Eduvigis läuft oft mit einem blauen Auge herum, und niemand wundert sich. Manuel hat mir geraten, nicht nachzufragen, weil es für Eduvigis beschämend wäre, man redet hier nicht über häusliche Gewalt.
    Das Krankenbett stand am Ofen. Wegen der Geschichten, die ich über Carmelo Corrales gehört hatte, über seine Prügeleien im Suff und darüber, wie er seine Familie malträtierte, hatte ich ihn mir als großen, widerlichen Kerl vorgestellt, aber im Bett lag ein hilfloser Greis mit verrenkten, knochigen Gliedern, hatte die Augen halb geschlossen und atmete röchelnd wie ein Sterbender durch den offenen Mund. Ich hätte gedacht, dass man Zuckerkranken immer Insulin gibt, aber Manuel flößte dem Mann ein paar Löffelchen Honig ein, und dadurch und durch die Gebete von Eduvigis kam er wieder zu sich. Azucena kochte uns einen Tee, den wir schweigend tranken, während wir darauf warteten, dass der Sturm abflaute.
    Gegen vier am Morgen kehrten Manuel und ich nach Hause zurück, wo der Ofen schon vor einer Weile erloschen sein musste. Es war kühl, Manuel ging Brennholz holen, ich zündete Kerzen an und machte Wasser und Milch auf dem Petroleumkocher warm. Erst merkte ich gar nicht, wie ich zitterte, weniger vor Kälte als wegen der Anspannungdieser Nacht, wegen des Unwetters, der Fledermäuse, des sterbenskranken Mannes und wegen etwas, das ich im Haus der Familie Corrales gespürt hatte und nicht richtig erklären kann, etwas, das einen angreift wie Hass. Falls es stimmt, dass Häuser von dem Leben getränkt sind, das in ihnen geführt wird, dann gibt es im Haus der Familie Corrales etwas Böses.
    Manuel hatte das Feuer rasch entfacht, wir wechselten unsere nassen Sachen gegen Schlafanzüge und dicke Socken und warfen uns Wolldecken über. Im Stehen, dicht beim Ofen, trank er seine zweite Tasse Tee und ich meine Milch, dann sah er nach, ob alle Fensterläden dem Sturm standgehalten hatten, machte meine Wärmflasche fertig, legte sie mir ins Bett und verschwand in sein Zimmer. Ich hörte, wie er ins Bad ging, zurückkam und sich ins Bett legte. Ich blieb auf, lauschte auf das letzte Grummeln des Gewitters, den sich entfernenden Donner, den Wind, der des Wehens langsam müde wurde.
    Ich habe verschiedene Strategien ausprobiert, um meine Angst vor der Nacht zu besiegen, und keine taugt etwas. Seit ich in Chiloé bin, fühle ich mich körperlich und im Kopf gesund, aber meine Schlaflosigkeit ist schlimmer geworden, und ich will keine Tabletten nehmen. Mike O’Kelly hat mich vorgewarnt, das Letzte, was bei einem Süchtigen wieder normal funktioniere, sei das Schlafen. Ich vermeide ab nachmittags Kaffee und schwarzen Tee und alles, was mich aufregt, sehe keine Filme und lese keine Bücher mit Gewaltszenen, die mir nachts nachgehen könnten. Bevor ich mich hinlege, trinke ich einen Becher warme Milch mit Honig und Zimt, den Zaubertrank meines Großvaters, als ich klein war, und außerdem einen Beruhigungstee von Eduvigis: Lindenblüten, Holunder, Pfefferminz und Veilchen, aber egal, was ich tue, selbst wenn ich bis in die Puppen aufbleibe und lese, bis mir die Augen zufallen, ich kann die Schlaflosigkeit nicht austricksen, sie ist unerbittlich. Ich habe viele Nächte meines Lebens wachgelegen, zählte früher Schafe, zähle heute Schwäne mit schwarzem Hals oder Delfine mit weißem Bauch. Stundenlang liege ich da im Dunkeln, ein, zwei, drei Uhr früh, lausche auf das Atmen des Hauses, das Wispern der Gespenster, das Scharren der Monster unter meinem Bett und fürchte um mein Leben. Die immer gleichen Feinde überfallen mich, Schmerz, Verlust, Erniedrigung, Schuld. Das Licht anzumachen kommt einer Niederlage gleich, an Schlaf ist nicht mehr zu denken, weil im Licht das Haus nicht nur atmet, es bewegt sich, es pocht, es wachsen ihm Höcker und Tentakeln, die Gespenster nehmen sichtbare Gestalt an, die Fratzen geraten in Aufruhr. Jetzt stand mir wieder eine endlose Nacht bevor, zu viel Aufregung und dazu sehr spät. Ich lag unter einem Berg Wolldecken begraben und ließ Schwäne an mir vorüberziehen, als ich hörte, dass Manuel nebenan im Schlaf mit etwas rang, wie schon so viele Male zuvor.
    Etwas verursacht ihm Albträume, es hat mit seiner Vergangenheit zu tun und vielleicht mit der Vergangenheit des Landes. Ich habe im Internet einiges gefunden,

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