Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
gibt Unterwasserstädte im Meer, in Seen, Flüssen und Teichen, und dort wohnen die pigüichenes , die nichts Gutes im Schilde führen, schwere See und tückische Strömungen heraufbeschwören können. Vor allem an feuchten Orten sollten wir vor ihnen auf der Hut sein, was aber hier, im Land des Dauerregens, kein sehr hilfreicher Ratschlag ist, es ist überall feucht. Manchmal begegnen wir alten Leuten, die gern berichten, was ihre Augen gesehen haben, und kehren mit einem wahren Schatz von Aufnahmen nach Hause zurück, die wir dann mühselig entwirren müssen, weil diese Leute ihre eigene Art haben zu erzählen. Erst reden sie um das Thema Zauberei herum, das sei früher gewesen, sagen sie, heute glaube kein Mensch mehr daran; vielleicht fürchten sie, von denen der »Kunst«, wie sie die Hexer nennen, gestraft zu werden, oder sie wollen nicht weiter dazu beitragen, dass man sie für abergläubisch hält, aber mit Geschick und Apfel-Chicha löst Manuel ihnen die Zunge.
Wir hatten das schwerste Gewitter, seit ich hier bin, es kam mit Sieben-Meilen-Stiefeln über uns und hat seine Wut an der Welt ausgelassen. Blitze, Donner und ein irrer Wind, der gegen das Haus peitschte und entschlossen schien, es im Regen aufs Meer hinaus zu treiben. Die drei Fledermäuse ließen die Deckenbalken los und drehten im flackernden Licht der Kerzen Runden durchs Wohnzimmer, verfolgt von mir mit dem Besen, um sie nach draußen zu scheuchen, und vom Dusselkater, der sinnlos mit den Tatzen nach ihnen schlug. Der Generator macht seit Tagen Zicken, und wir wissen nicht, wann der »Meister Reisig« kommt, wenn er überhaupt kommt, was keiner sagen kann, weil sich in diesem Land kein Mensch an verabredete Zeiten hält. Meister Reisig nennen sie hier Leute, die mit einer Kneifzange und einem Draht alle möglichen Geräte wieder einigermaßen hinkriegen, aber auf unserer Insel gibt es keinen, und wir müssen welche von auswärts bestellen, die auf sich warten lassen wie Hochwürden. Das Toben des Sturms war ohrenbetäubend, rollender Fels, Panzer im Krieg, entgleisende Züge, Löwengebrüll und plötzlich ein Kreischen aus den Tiefen der Erde. »Ein Beben, Manuel!« Aber der lasim Schein seiner Grubenlampe ungerührt weiter. »Bloß der Wind, wenn es bebt, fallen die Töpfe vom Haken.«
Da ging die Tür auf, Azucena Corrales stand in einem Plastikponcho und mit Anglerstiefeln, triefend vom Regen auf der Schwelle und bat um Hilfe, weil es ihrem Vater sehr schlecht ging. Wegen des Gewitters hatte ihr Handy keinen Empfang, und zu Fuß ins Dorf zu gehen war ausgeschlossen. Manuel zog Regenmantel, Mütze und Stiefel an, nahm die Taschenlampe und wandte sich zur Tür. Ich kam hinterher, ich dachte nicht daran, mit den Fledermäusen und dem Unwetter allein zu bleiben.
Bis zum Haus der Familie Corrales ist es nicht weit, aber wir brauchten ewig im Dunkeln, wurden von den Regenschwaden durchgeweicht, versanken im Schlamm und kämpften gegen die Böen, die uns zurücktreiben wollten. Für Augenblicke war mir, als hätten wir uns verlaufen, dann tauchte vor uns unversehens der gelbliche Schein im Fenster der Corrales’ auf.
Das Haus ist kleiner als unseres und arg baufällig, seine losen Bretter knirschten und knarrten bedenklich, aber innen war es warm. Im Licht von zwei Petroleumlampen sah ich ein Durcheinander alter Möbel, dazu Körbe mit ungesponnener Wolle, Berge von Kartoffeln, Töpfe, Kleiderbündel, Wäsche, die an einem Draht zum Trocknen hing, Eimer für das Wasser, das durch die Decke tropfte, und sogar die Ställe mit den Kaninchen und Hühnern, die man in so einer Nacht unmöglich draußen lassen konnte. In einer Ecke brannte eine Kerze vor einem Altar mit Gipsmadonna und einem Bild von Pater Hurtado, dem Heiligen der Chilenen. An den Wänden Kalender, gerahmte Fotografien, Postkarten, Werbung für Ökotourismus und ein Schaubild aus der »Ernährungsfibel für den älteren Erwachsenen«.
Carmelo Corrales muss einmal ein kräftiger Mann gewesen sein, Zimmermann und Bootsbauer, aber der Alkoholund die Diabetes haben ihm jahrelang zugesetzt, und jetzt ist er ein Wrack. Erst nahm er die Symptome nicht ernst, dann behandelte ihn seine Frau mit Knoblauch, rohen Kartoffeln und Eukalyptus, und als Liliana Treviño ihn nötigte, nach Castro ins Krankenhaus zu gehen, war es zu spät. Wenn man Eduvigis glauben will, haben die Ärzte seinen Zustand verschlimmert. Corrales änderte nichts an seinem Lebensstil, trank weiter und vergriff sich an
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