mayday mayday ... eastern wings 610
Strippe ziehen, die ich in die Finger kriege. Aber so viele Strippen gibt's gar nicht, so viele hab' auch ich nicht, die ein solches Verhalten rechtfertigen können. Du riskierst deinen Job. Ist dir das klar?«
»Das muß ich in Kauf nehmen.«
»Paul, ich rede nicht nur von einem Eintrag in die Personalakte. Sie können dich feuern.«
»Ich sagte dir ja, das muß ich in Kauf nehmen.«
»Dann scheint es dir wirklich ernst zu sein.«
»Ist es mir auch, Dieter.«
Er sah auf seine Uhr. Erst siebzehn Uhr fünfzig. Die Zeit stand still. Dies war der Tag der Ewigkeiten. Es war ihm, als habe er vor tausend Jahren ein Dorf namens Aurigeno im Tessin besucht. Noch waren zwei Anrufe zu erledigen. Der erste galt Frau Rauka, seiner Putzfrau in Handschuhsheim. Sie sollte lüften. Und natürlich die alte Frage nach dem Bassin im Garten. Anja hatte vor einem Jahr drei Goldfische ausgesetzt. Sie waren zu einer stattlichen Anzahl von zwanzig gewachsen. Außerdem konnte sie mit Christa reden.
»Tun Sie mir den Gefallen, Frau Rauka, wenn Christa vorbeikommt, sagen Sie ihr, ich bin für einige Tage in die USA geflogen und rufe sie sofort an, sobald ich eine feste Adresse habe. Passen Sie auf sie auf! Und außerdem: die Goldfische. Wenn ich zurückkomme, möchte ich sie nicht mit dem Bauch nach oben durch das Bassin treiben sehen.«
Frau Rauka versprach es ihm.
Die Dresdner Bank. Sein Kontostand. Wenn er seinen Besitz an festangelegten Papieren abzog , betrug er überraschende vierundachtzigtausend Mark.
»Davon brauche ich zwanzigtausend. Und zwar sofort.«
»Und wohin?«
»American Express. Zu meiner Verfügung.«
»American Express, wo?« fragte der Kontoführer.
»Ach ja, natürlich«, erwiderte Paul Brückner, »Miami, Florida.«
Kurz vor acht durchschritt Paul Brückner die kunstvoll geschmiedete Eisenpforte, die das › Bice ‹ von der Via Manzoni trennte. Er trug einen sehr elegant geschnittenen Anzug aus hellblauem Popelin, ein dem Blau entsprechendes grünes Hemd und dazu eine schwarze, grüngemusterte Krawatte. Die ganze Pracht hatte er bei einem Herrenausstatter am Corso erstanden, ziemlich teuer, so teuer, daß er seine Kreditkarte zücken mußte. Nun fühlte er sich einigermaßen für das › Bice ‹, eines der exklusiven, in den Innenhofgärten der Mailänder Palazzi versteckten Toprestaurants, gerüstet.
Nur drei Tische waren besetzt. Die Italiener essen spät zu Abend. Die drei Tische allein beschäftigten fast ein Dutzend Kellner.
Er ließ sich einen Einzeltisch unter einem Magnolienbaum in der Nähe des plätschernden Springbrunnens anweisen, bestellte einen Aperitif und die Corriere della Sera. Er blätterte sie durch, wie immer fixiert auf die gleichen Meldungen, fand keine einzige, die etwas mit dem Unglück auf Mallorca zu tun haben könnte, trank seinen Sherry aus und nahm die Speisekarte zur Hand.
Er entschied sich für Krebssuppe, Brokkoli-Pâté und Rebhühner in Marsala. Er aß langsam, mit Bedacht und wohl auch zum ersten Mal seit langem wieder mit Genuß – und wollte gerade den Kaffee bestellen, als jemand »Oh, wen seh' ich da?« ausrief, »mein Freund Paul Brückner!«
Sergio Manzottis Spiegelglatze. Seine schwarze Banker-Hornbrille. Und das ewige, begeisterte, rundgesichtige Strahlen. Obwohl das Hotel ›Milan‹ über ein ausgezeichnetes Restaurant verfügte, pflegte sein Chef Manzotti häufig im ›Bice‹ aufzutauchen, einmal, um zu beweisen, daß er Konkurrenz nicht fürchtete, zum anderen wohl auch, weil man im ›Bice‹ interessantere Leute traf als im Milan.
»Sergio!« Er freute sich. Er mochte den Kerl. Dessen spontane Zuvorkommenheit konnte gespielt sein, aber er war immer amüsant. »Ich wollte mich sowieso bei Ihnen melden, um mich für die Supersuite zu bedanken …«
»Bedanken? Auch noch … Ich hab' mich zu bedanken. Und die Suite? – Ich dachte mir, sie würde Ihrer zauberhaften Begleiterin Freude machen. Aber in diesem Punkt haben Sie mich dieses Mal enttäuscht … Wo ist sie denn?«
Brückner brachte es fertig, sein Lächeln zu behalten. »Sie fuhr nach Mallorca …«
»Allein? Ist das bei einer so charmanten Frau nicht riskant? Soll ich Ihnen etwas verraten? Zweimal in meinem Leben haben Freundinnen ohne mich Urlaub gemacht … Und das Resultat? Zweimal hab' ich sie verloren …«
»Ja nun«, sagte Brückner.
Als Sergio Manzotti gegangen war, saß er noch eine Zeitlang und blickte in den rötlichen Nachthimmel über der großen Stadt. Er ließ den Kaffee
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