mayday mayday ... eastern wings 610
lieben?
Dann, als sich ihre Körper verschlangen und sein Bewußtsein wegdriftete, tauchte wieder der Vorsatz in ihm auf, den er so oft gedacht und doch nie wirklich ernst genommen hatte: Laß alles hinter dir – vergiß, was bisher dein Leben war. Denn: War es ein Leben? – Fliegen ist wie eine Sucht. Nimm diese Frau, zieh irgendwohin, in den Schwarzwald oder in die Wüste. Ein Kind? Warum denn nicht ein Kind?
Anja stöhnte. Sie öffnete die Augen. Ihre Blicke verschmolzen. Nie hatte sie ihn so angesehen.
Sie hat so recht, dachte er noch.
Und: Sie ist meine Frau …
23. September , Miami, Florida , Ortszeit: 10 Uhr 30
In Miami schien es für die 747 der ›United‹ keine Chance zum Andocken zu geben. Die Flugsteige waren besetzt.
Brückner verließ die Maschine und verhielt einen Moment auf der Plattform der Passagiertreppe. Die feuchte Hitze nahm ihm den Atem. Hundertmal erlebt und immer wieder vergessen. Nun war sie da. Nun war es, als würde dir jemand eine Lage nassen Verbandsmull ums Gesicht klatschen und sagen: Nun atme mal schön!
Der Schweiß brach ihm aus.
Er lockerte die schicke Krawatte vom Mailänder Corso, sagte »Verzeihung« und schob eine wild mit ihrem Mann gestikulierende ältere Dame zur Seite.
Dann sah er sich noch mal um, sah all die Vögel, die hier parkten – endlose Reihen von Jets. Avianca – Dominicana – Bahamas – Mexicana – Lloyd Aero Boliviano – Braniff – Faucett – Air Jamaica – LAN-CHILE – Aero Peru – Varig.
In Miami, dachte er, findest du mehr süd- und mittelamerikanische Jets, als in Mexiko-City, Santiago, Buenos Aires und Lima zusammen. Und was für Mühlen. Die meisten Gesellschaften krebsten am Rand des Ruins herum. Wo zum Teufel denn sonst sollte der Bogushandel blühen, wenn nicht hier?
Er konnte einfach nicht abschalten. Er schaffte es nicht. Wieder produzierte sein Schädel die gleichen Ergebnisse.
Er passierte Paßkontrolle und Gepäckausgabe und kämpfte sich durch den Flughafen. Schließlich hielt er erschöpft vor einer der ungezählten neonstrahlenden Cafeterias. Nein, auf einen American Coffee in den großen Styroporbechern mit den Plastikdeckeln obendrauf hatte er keine Lust. Er entschied sich für einen Café Cubana, und der Duft begrüßte ihn wie ein alter Freund. Der Kaffee tat gut. Oh, verdammt – und wie.
Als Brückner den Taxistand erreichte, hatten seine Hosen bereits Feuchtigkeitsflecken bekommen. Und dennoch, trotz neun Stunden Flug fühlte er sich irgendwie mit Energie geladen.
Der Fahrer stieß den Schlag auf und drehte ihm das Gesicht zu. Jung. Das blonde Haar zu einem Nackenzopf zusammengebunden. Vom rechten Ohrläppchen hing ein kleiner, goldener Tennisschläger.
»Wohin?«
»Dupont Palace.«
»Miami Beach?«
»Wieso? Das ist am Biscayne.«
Der Zopf junge schaltete den Taxameter ein und ließ den Chrysler rollen.
»Das ›Dupont Palace‹ kennt doch jeder.«
»Ich nicht.«
»Ist nicht so weit von der John-F.-Kennedy-Brücke.« Brückner kurbelte das Fenster hoch. »Und wenn Sie jetzt die Klimaanlage einschalten würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
»Funktioniert nicht.«
»Was funktioniert nicht?«
»Die Klimaanlage.«
»Na ja«, sagte Brückner. »Wundert mich nicht.«
»Wer sich in Miami über etwas wundert, liegt sowieso total daneben«, sagte der Junge.
Miami. Die Wolkenkratzer schienen wie mit langen Zähnen am blauen Himmel herumzuknabbern. Sehr weißen Zähnen. Das verstand sich in Miami von selbst. Strahlend weiße Zähne.
»Ich komme aus Pahokee«, sagte der Junge. »Ich studiere am Dale College Betriebswirtschaft. Die in Pahokee sagen: Wer geht schon nach Miami. Nur ein Idiot.«
Als Brückner die mahagonifurnierte Halle des ›Dupont‹ betrat, sah er, daß er Glück hatte. Winter stand hinter dem Tresen. Francis Winter war einer der Empfangschefs des ›Dupont‹. Und er kam mit ihm zurecht. Winter sagte auch sofort »Verzeihung«, ließ drei Touristen stehen und ging auf Brückner zu.
»Na, Captain! In Zivil?«
»Immer Uniform würde doch auch Sie langweilen, oder?«
»Vermutlich«, lächelte Winter. Das Vertragshotel in Miami war das ›Sheraton‹, doch wenn es besetzt war, kam das ›Dupont‹ an die Reihe. Meist hingen in der Dupont-Halle Piloten oder Leute der Bordcrews herum. Außerdem verfügte es über einen sehr eleganten Pool. Für die Latin Lovers der Stadt war er besonders interessant, weil sich bei ihnen der Glaube als unausrottbar erwies, am Pool des ›Dupont Palace‹
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