Mayra und der Prinz von Terrestra (German Edition)
kein ganz legales Programm war. Für Fredi hatte es einen unwiderstehlichen Reiz, sich virtuell an Orte zu begeben, an denen er eigentlich nichts zu suchen hatte. Es hätte Mayra nicht erstaunt, wenn selbst der Zugang zum Senatsrechner für Fredi kein Hindernis darstellte. Mangels packender Alternativen wandte Mayra sich wieder ihren Mathematikaufgaben zu.
Mittags kam Fredi in ihre Lernkammer geschwebt und holte sie zum Essen ab. Im künstlichen Licht schimmerten seine hellblonden Haare fast grünlich. Vielleicht lag es an der Beleuchtung, vielleicht bildete Mayra es sich auch nur ein, aber sie hatte den Eindruck, dass Fredi kränker aussah als sonst. Sie hatte es sich abgewöhnt, ihn zu fragen, wie es ihm ging, nachdem er sie einmal angebrüllt hatte: „Mein Herz ist schwach. Meine Nieren streiken, und auf meinen Magen ist kein Verlass. Das wird so bleiben, egal wie oft du fragst. Also lass es!“
Zusammen gingen beziehungsweise schwebten sie über die Flure und Treppen zur Schulmensa, die in einem Licht durchfluteten Anbau am hinteren Teil des Gebäudes untergebracht war. An den Wänden spielten heute Bilder von einem Strand. Entsprechend war die Temperatur in der Mensa wärmer als sonst. Palmen wiegten sich im Wind, dessen Flüstern ebenso zu hören war wie das Rauschen der Brandung, die digital an die Schulwände schlug. Die Luft war passend dazu mit dem Geruch von Meersalz parfümiert. Mayra wäre lieber draußen vor der Farm ihres Onkels gesessen. Dort war es zwar nicht ganz so idyllisch. Dafür waren die Gerüche nach Erde und Gräsern echt.
Mayra und Fredi stellten sich in die Schlange vor der Essensausgabe. Als sie dran waren, bestellten sie wie immer drei Essen, eines mit Mayras Fingerabdruck, das sie frevelhafter Weise wegwarfen, weil es auch keiner hätte essen wollen, und zwei mit Fredis Fingerabdruck. Mayra war sich sicher, dass Fredis Eltern genau wussten, dass ihr Sohn nicht jeden Tag eine doppelte Portion aß. Aber Fredis Essen war so unverschämt lecker, dass Mayra in den seltensten Fällen widerstehen konnte. Bei dem Essen, das seine Eltern für ihn bestellten, konnte man erkennen, dass es Salat war, wenn man einen Salat vor sich hatte.
Mayra setzte sich in eine Fensternische, und Fredi schwebte ihr gegenüber. Als sie gerade angefangen hatten zu essen, ging Cynthie an ihnen vorbei Richtung Essensausgabe. Fredi verschluckte sich und Mayra klopfte ihm vorsichtig auf den Rücken. Wie immer war Cynthie begleitet von Leina und Peralla, die edel waren, aber nie ganz so edel wie Cynthie selbst. Cynthie schaffte es durch eine Kette hier und ein Tuch da – alles an der Grenze des noch von den Statuten zugelassenen – sogar ihre Schuluniform elegant aussehen zu lassen. Ihre Frisuren waren immer originell, ihr Make-up bunt und auffällig. Die Kombination von Gelb und Blau um die Augen würde morgen die Hälfte der Mädchen in der Schule tragen. Cynthie war das Modevorbild schlechthin.
„Spielwelt gestern Abend war voll edel“, teilte Cynthie ihren Freundinnen mit. „Dieser eine Avatar, die Haarfarbe hat mit den Gefühlen gewechselt! Das war vielleicht interessant! Den würde ich gerne besser kennenlernen!“
Fredi klappte die Kinnlade runter. Mayra musste ihn anstoßen, damit er wieder zurück in die Wirklichkeit fand. „Hast du das gehört!“ rief er aus. „Sie will mich besser kennenlernen! Cynthie. Mich!“
Mayra stocherte in ihrem Essen. „Naja, sie will deinen Avatar kennen lernen.“
„Aber das bin ich doch. Der Avatar!“ Fredi hörte auf zu Essen und konnte seine Augen nicht von Cynthie lösen, die mit ihren Freundinnen an einem Tisch in der anderen Ecke der Mensa saßen und sich kichernd während des Essens unterhielten.
Während sie selbst es sich schmecken ließ, betrachtete Mayra etwas besorgt ihren Freund. Der bemerkte das schließlich und fragte: „Mayra, und was ist mit Kareel?“
Mayra schluckte und meinte dann, möglichst cool: „Schön? Klug? Unerreichbar?“
Fredi grunzte nur – und den Rest des Essens verbrachten sie im Schweigen.
Kapitel 4
Am Abend kam überraschend Mayras Großvater, Admiral der Sternenflotte Sven Rogers, zu Besuch. Die Beziehung zwischen Cassiopeia und ihrem Vater war angespannt. Rogers hatte ein Jahr zuvor wieder geheiratet und Cassiopeia nahm ihm das übel. Sie selbst war unter fadenscheinigen Ausreden nicht zur Hochzeit geflogen und hatte verhindert, dass ihr Mann und ihre Tochter teilnahmen. Mayra verstand nicht wirklich, warum ihre
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