McCaffrey, Anne & Scarborough, Elizabeth - Petaybee 02
sich endlich hatte füllen dürfen. Die Suppe war fast kalt, und das Feuer – eine armselige, stinkende Angelegenheit aus immer noch feuchtem Tierkot – war nichts als ein leiser, mürrischer Lufthauch, dem es nicht gelang, den Schmerz und die Kälte zu bannen. Es vertrieb die Gänsehaut nicht, ganz zu schweigen von der Vereisung in ihren Knochen.
Doch zur Abwechslung erging es keinem der anderen besser als Ziegendung. Die etwa einhundert Anhänger des Hirten kauerten am Rand des dampfenden Tals der Tränen. Leben und Heim waren von der Großen Flut überschwemmt, von der der Hirte behauptete, sie sei über sie gekommen, um sie zu prüfen.
»Das Ungeheuer trachtet danach, uns seinem Willen zu unterwerfen«, hatte der Hirte immer wieder betont. »Wir werden nicht nachgeben. Wenn das Wasser sich wieder senkt, werden wir in unser Tal zurückkehren und weiterhin allem die Stirn bieten, was uns vernichten will.«
Anstatt in seinen Büroräumen und dem besseren Wohnquartier zu bleiben, befand der Hirte sich nun bei der Herde, wo er organisierte, beriet, ermahnte – und beobachtete. Ziegendung empfand es schon als schlimm genug, die tadelnden Blicke der anderen auf sich ruhen zu spüren, doch zweimal hatte sie in ihrem Leid aufgesehen und bemerkt, wie der Hirte selbst sie beobachtete, und seine Miene hatte sie noch kälter erschauern lassen als die Fluten im Tal.
Ziegendung ruhte sich von ihrem letzten Aufstieg aus, während der kurze Tag sich seinem Ende entgegenneigte und die Nebel aus dem Tal auf trieben und über den Außenrand des Lagers krochen. Sie hörte leise Schritte, die sich ihr näherten. Dann kauerte sich Concepcion, deren Bauch immer noch so flach war wie vor jener Zeit, da der Hirte sie geheiratet hatte und ihr Name noch Swill gewesen war, neben ihr nieder.
»Gute Nachricht, kleine Schwester«, verkündete sie.
Ziegendung sagte nichts. Solange sie nicht wußte, was Concepcion von ihr wollte, war es das sicherste zu schweigen.
Das andere Mädchen, das gerade einmal vier Jahre älter war als Ziegendung, reichte ihr ein Stück Metall. »Du bist auserwählt worden«, sagte sie schlicht und erhob sich, um wieder zu gehen.
Ziegendung musterte das Metallstück in ihrer Hand. Es war in der Form eines Herzens geschnitten. Der Hirte hatte sie zu seiner Frau auserkoren.
»Was? Wo?« rief sie Concepcion nach.
»Heute nacht«, rief das ältere Mädchen zurück und war auch schon im Nebel verschwunden.
Da tat Ziegendung das Schlimmste, das sie in all ihrer bösen Zeit je getan hatte: Sie rannte fort.
Der Nebel verdeckte ihr Spur, und der Schneematsch dämpfte das Geräusch ihrer Schritte. Sie lief so schnell und so lange, wie ihr erschöpfter, unterernährter Leib es vermochte. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie rannte. Nie hatte sie andere Leute kennengelernt als ihre eigenen, obwohl der Hirte gelegentlich auf andere angespielt hatte, auf Außenseiter, die dem Irrtum zum Opfer gefallen waren. Es waren schreckliche Leute, hatte der Hirte gesagt, die Mädchen wie sie dem großen Ungeheuer opfern würden.
Immer noch besser, als dem Hirten eine gehorsame Frau zu sein wie Swill-Concepcion und Nachtboden, die inzwischen unter dem Namen Assumpta bekannt war. Den Frauen des Hirten wurde, wenngleich sie nicht älter waren als Kinder, Erwachsenennamen verliehen, die meist im Zusammenhang mit der Lehre standen.
Assumpta, einst ein Engel von einem Mädchen mit rosigen Wangen und Kastanienhaar, voller kindlicher Geschmeidigkeit und Anmut, war schon mit dreizehn alt geworden. Vier Kinder hatte sie an eine Bluterkrankheit verloren, und nach jeder Frühgeburt hatte man sie geschlagen. Inzwischen konnte Assumpta kaum mehr gehen.
Concepcion dagegen war mit fünfzehn noch unfruchtbar und wurde deswegen ebenfalls geschlagen. Ihre eigene Mutter, Ascencion, gehörte selbst zu den Ehefrauen des Hirten und beaufsichtigte persönlich das Prügeln.
Auch Ziegendungs Mutter war dem Hirten eine Frau gewesen, wenngleich Ziegendung nicht zu seinen eigenen Lämmern gehörte.
Ein Grund dafür, weshalb sie so böse war – so pflegten die anderen ihr mitzuteilen –, war der, daß ihre Eltern Außenseiter gewesen waren.
Als ihre Mutter starb, war sie noch zu klein gewesen, um es zu begreifen. Doch es hieß, daß ihre Mutter eine außerordentlich aufsässige Außenseiterin gewesen sei, die nicht die Frau des Hirten werden wollte und die man nur durch die beharrliche Güte der Herde dazu hatte bewegen können, die Segnungen einer
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