McCreadys Doppelspiel
ziehen. Er sei aber entgegenkommend, und die Briten seien mit ihm zufrieden. Bereits behandelte Gebiete würden jetzt immer wieder noch einmal durchgenommen. Das brauche seine Zeit, aber bei jeder erneuten Besprechung eines schon abgehandelten Themas kämen wieder ein paar winzige Einzelheiten zum Vorschein - winzig, aber wichtig.
Während Roth seinen Drink schlürfte, klingelte es, und Sam McCready stand an der Wohnungstür. Er hatte Denis Gaunt dabei, und Bailey stellte erneut seine Familie vor. Roth konnte nicht umhin, seinen britischen Kollegen zu bewundern. McCreadys Verhalten war makellos, er gratulierte Bailey zu seinem außerordentlichen Erfolg mit Orlow und legte ihm eine ganze >Auswahlliste< von Unternehmungen vor, die der SIS sich zur Verschönerung von Baileys Besuch in Großbritannien hatte einfallen lassen.
Bailey freute sich über die Karten für Opernaufführungen in Covent Garden und Glyndebourne. Sie würden der Höhepunkt des zwölftägigen London-Aufenthalts der Familie sein.
»Und anschließend geht’s wieder zurück in die Staaten?«
»Nein. Dann stehen erst noch Stippvisiten in Paris, Salzburg und Wien auf dem Programm«, sagte Bailey. McCready nickte. Salzburg und Wien waren heilige Stätten für jeden Opernfreund.
Es wurde ein recht unterhaltsamer Abend. Die übergewichtige Mrs. Bailey lief schwerfällig hin und her und servierte Drinks; Clara kam gute Nacht sagen, bevor sie zu Bett gehen mußte. Die drei Besucher gingen nach neun Uhr.
Auf der Straße sagte McCready leise zu Roth:
»Na, wie laufen die Nachforschungen, Joe?«
»Es wird immer klarer, daß du total spinnst«, sagte Roth.
»Ich bitte dich nochmal, sei vorsichtig«, sagte McCready. »Die führen euch an der Nase rum.«
»Genau das glauben wir von euch, Sam.«
»Wen hat er beschuldigt, Joe?«
»Gib’s auf«, beschied ihn Roth. »Von jetzt an ist Minstrel Sache der Company. Er geht euch nichts mehr an.«
Er wandte sich ab und entfernte sich mit raschen Schritten in Richtung Grosvenor Square.
Max Kellogg saß zwei Nächte später mit dem DCI in dessen Bibliothek, legte seine Akten und Notizen, Kopien von Bankformularen und Fotos vor und redete.
Er war todmüde, erschöpft von einem Arbeitspensum, das normalerweise ein ganzes Team doppelt so lange beschäftigt hätte. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen.
Der DCI saß ihm an dem alten Refektoriumstisch gegenüber, den er für die Unterlagen eigens in die Bibliothek hatte schaffen lassen. Der alte Mann saß zusammengesunken in seiner samtenen Hausjacke da, die Lampen schienen ihm auf den kahlen, runzligen Kopf, unter den Brauen hervor beobachtete er Kellogg, und gleichzeitig huschten seine Augen über die ihm vorgelegten Dokumente wie die einer alten Eidechse. Als Kellogg endlich fertig war, fragte er:
»Keinerlei Zweifel?«
Kellogg schüttelte den Kopf.
»Minstrel hat uns siebenundzwanzig Hinweise gegeben. Sechsundzwanzig haben sich bestätigt.«
»Lauter Indizien?«
»Zwangsläufig. Abgesehen von der Aussage der drei Bankkassierer. Sie haben die Person einwandfrei identifiziert. Natürlich nur anhand von Fotos.«
»Kann man jemanden ausschließlich aufgrund von Indizien verurteilen?«
»Ja, Sir. Es gibt zahlreiche gut dokumentierte Präzedenzfälle. Man braucht nicht immer die Leiche, um einen Mörder zu überführen.«
»Und ein Geständnis braucht man auch nicht?«
»Nicht unbedingt. Und in diesem Fall werden wir mit Sicherheit keins kriegen. Wir haben es mit einem gewieften, gerissenen, zähen und äußerst erfahrenen Agenten zu tun.«
Der DCI seufzte.
»Fahren Sie nach Hause, Max. Fahren Sie nach Hause zu Ihrer Frau. Und bewahren Sie Stillschweigen. Ich lasse es Sie wissen, wenn ich Sie wieder brauche. Gehen Sie nicht wieder ins Büro, bevor ich es Ihnen sage. Gönnen Sie sich eine Pause. Ruhen Sie sich aus.«
Er wies mit der Hand zur Tür. Max Kellogg stand auf und ging. Der alte Mann ließ einen Assistenten kommen und trug im auf, ein streng vertrauliches Telegramm an Joe Roth in London abzusetzen. Der Text lautete einfach: Sofort zurückkommen. Selbe Route. Mir berichten. Selber Ort. Als Unterschrift trug es das Codewort, das Roth verraten würde, daß es direkt vom DCI kam.
Während sich die Dämmerung über Georgetown senkte, verdüsterte sich auch das Gemüt eines alten Mannes. Der DCI saß alleine im Dunkeln und dachte an die alten Zeiten, an Freunde und Kollegen, intelligente, fähige junge Männer und Frauen, die er hinter den Atlantikwall
Weitere Kostenlose Bücher