McCreadys Doppelspiel
geschickt hatte und die als Opfer eines Informanten, eines Verräters, verhört, gefoltert und umgebracht worden waren. Damals hatte es keine Entschuldigungen gegeben, keinen Max Kellogg, der die Unterlagen gesichtet und die Beweise zusammengetragen hätte. Und es hatte kein Erbarmen gegeben - nicht für einen Verräter. Er sah auf das vor ihm liegende Foto.
»Du Hundsfott«, sagte er leise, »du dreimal verfluchter, abscheulicher Verräter.«
Tags darauf kam ein Bote in Sam McCreadys Büro im Century House und legte ihm eine Notiz aus der Dechiffrierabteilung auf den Tisch. McCready war beschäftigt;
mit einem Kopfnicken bat er Denis Gaunt, den Umschlag zu öffnen. Gaunt las die Mitteilung, stieß einen leisen Pfiff aus und reichte McCready den Zettel. Es war eine Mitteilung der CIA aus Langley. Während seines Urlaubs in Europa darf Calvin Bailey kein Zugang zu vertraulichem Material gewährt werden.
»Orlow?« fragte Gaunt.
»Wäre mein Tip«, sagte McCready. »Was zum Teufel kann ich tun, um sie zu überzeugen?«
Er gab sich selbst die Antwort. Er benutzte einen toten Briefkasten, um Keepsake um ein sofortiges Treffen zu bitten.
Gegen Mittag erfuhr er durch eine Routinemeldung von der Flughafenpolizei, einer Abteilung von MI-5, daß Joe Roth London wieder mit Ziel Boston verlassen hatte, mit demselben falschen Paß.
Noch am selben Abend saß Joe Roth, der durch den Flug über den Atlantik fünf Stunden gewonnen hatte, an dem Refektoriumstisch in der Villa des DCI. Der Direktor saß ihm gegenüber, Max Kellogg zu seiner Rechten. Der alte Mann wirkte grimmig entschlossen, Kellogg lediglich nervös. In seinem Haus in Alexandria hatte er die vierundzwanzig Stunden von seiner Rückkehr am Abend zuvor bis zur telefonischen Anweisung zur Rückkehr nach Georgetown fast nur geschlafen. Er hatte alle seine Dokumente beim DCI gelassen, aber jetzt lagen sie wieder vor ihm.
»Fangen Sie noch einmal an, Max. Am Anfang. Genauso, wie Sie es mir erzählt haben.«
Kellogg streifte Roth mit einem Blick, rückte seine Brille zurecht und nahm das oberste Blatt von dem Stapel. »Im Mai 1967 wurde Calvin Bailey als Provincial Officer, als G-12, nach Vietnam geschickt. Hier ist die Versetzungsanordnung. Er kam, wie Sie sehen, zum Programm Phoenix. Sie haben sicher schon davon gehört, Joe.«
Roth nickte. Auf dem Höhepunkt des Vietnam-Krieges hatten die Amerikaner eine Operation ins Leben gerufen, deren Zweck es war, den durchschlagenden Erfolgen entgegenzuwirken, die die Vietcong bei der einheimischen Bevölkerung durch selektive, öffentliche und sadistische Mordanschläge erzielten. Der Grundgedanke war, den Terroristen mit Gegenterror zu begegnen und Vietcong-Aktivisten ausfindig zu machen und auszuschalten. Das war das Programm Phoenix. Wie viele verdächtige Vietcong damals ohne Beweise und ohne Verhandlung ins Jenseits befördert wurden, wurde nie festgestellt. Manche sprechen von 20.000, die CIA von 8.000.
Wie viele der Verdächtigen tatsächlich Vietcong waren ist noch umstrittener, denn die Vietnamesen fingen schon bald an, jeden zu denunzieren, mit dem sie eine private Rechnung zu begleichen hatten. So wurden Menschen aufgrund von Familienfehden und Auseinandersetzungen um Grundbesitz, ja sogar wegen Schulden denunziert, die nie mehr eingetrieben werden konnten, wenn der Gläubiger erst einmal tot war.
In der Regel wurde der Denunzierte der südvietnamesischen Geheimpolizei oder Armee übergeben. Die Verhöre, denen diese armen Menschen unterzogen wurden, und die Art, wie sie umgebracht wurden, stellten sogar fernöstliche Phantasie auf eine harte Probe.
»Es gab junge, frisch aus der Heimat herübergekommene Amerikaner, die dort unten Dinge sahen, die man keinem Menschen zumuten sollte. Manche quittierten den Dienst, andere mußten sich in psychiatrische Behandlung begeben. Einer bekehrte sich zur Philosophie eben jener Männer, die er bekämpfen sollte. Dieser Mann war Calvin Bailey. Wir haben dafür keinen Beweis, weil sich das alles im Kopf eines Menschen abspielte, aber die folgenden Indizien lassen die Vermutung absolut gerechtfertigt erscheinen.
Im März 1968 kam es unserer Überzeugung nach zu dem entscheidenden Erlebnis. Bailey war ganze vier Stunden nach, dem Massaker in dem Dorf My Lai. Sie erinnern sich an My Lai?«
Roth nickte wieder. Er kannte sich in der jüngeren Geschichte aus. Am 16. März 1968 stieß eine Kompanie der amerikanischen Infanterie auf ein kleines Dorf namens My Lai, in dem sich
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