McCreadys Doppelspiel
nächsten Moment war er von lauthals protestierenden Männern in Lederjacken umringt.
Der Mercedes verschwand die Straße entlang und bog um eine Ecke. Amüsierte Moskauer, die auf dem schmalen Gehsteig zusammenströmten, hörten den Jaguar-Fahrer zum Wortführer der KGB-Agenten sagen:
»Schön und gut, mein Bester, wenn Sie glauben, Sie können die Karre wieder zum Laufen bringen, dann nur zu.«
Nichts behagt einem Moskauer so sehr wie der Anblick von Tschekisten, die drauf und dran sind, sich bis auf die Knochen zu blamieren. Einer der KGB-Leute setzte sich wieder in sein Auto und gab über Funk eine Meldung durch.
Am Steuer des Mercedes ließ sich David Thornton von Sam McCready dirigieren, der, ohne jede Verkleidung und das Ebenbild seiner selbst, unter seiner Decke hervorgekrochen kam und Anweisungen gab.
Zwanzig Minuten später hielt der Mercedes auf einer einsamen, von Bäumen abgeschirmten Straße in der Mitte des Gorki-Parks. McCready riß am Heck das mit einem Schnappriegel angebrachte CD-Schild ab und befestigte ein neues Nummernschild, das auf der Rückseite mit kräftigen Klebstreifen versehen war, über dem britischen Kennzeichen. Thornton tat vorne am Wagen dasselbe. McCready holte Thorntons Make-up-Schachtel aus dem Kofferraum und setzte sich wieder auf den Rücksitz. Thornton vertauschte seine steife blaue Mütze mit einer echt russisch wirkenden Ledermütze und setzte sich wieder ans Steuer. Um achtzehn Minuten nach neun verließ Oberst Nikolai Gorodow seine Wohnung in der Schabolowski-Straße und ging zu Fuß in Richtung auf den Dserschinski-Platz und die Zentrale des KGB. Er wirkte eingefallen und blaß. Der Grund dafür tauchte bald hinter ihm auf. Zwei Männer kamen aus einem Hauseingang und gaben sich erst gar keine große Mühe zu verbergen, daß sie ihn beschatteten.
Er war ungefähr zweihundert Meter gegangen, als ein schwarzer Mercedes sich von hinten näherte und dicht am Rinnstein neben ihm herfuhr. Er hörte das Summen eines elektrischen Fensterhebers, und eine Stimme sagte auf englisch:
»Guten Morgen, Herr Oberst. Kann ich Sie ein Stück mitnehmen?«
Gorodow blieb stehen. In dem Auto saß, wegen der Vorhänge vor der Heckscheibe für die beiden Beschatter unsichtbar, kein anderer als Sam McCready. Gorodows Gesicht verriet Überraschung, aber keine Genugtuung.
»Das«, dachte McCready, »wollte ich sehen.«
Gorodow faßte sich und sagte so laut, daß es die KGB-Leute hören konnten:
»Danke, Genosse, sehr freundlich.«
Er stieg ein, und der Wagen fuhr mit hoher Geschwindigkeit davon. Die beiden KGB-Leute zögerten drei Sekunden - und hatten keine Chance mehr. Sie zögerten deshalb, weil auf dem Nummernschild des Mercedes die Buchstaben MOC und dann zwei Ziffern standen.
Die MOC-Kennzeichenschilder werden ausschließlich an Mitglieder des Zentralkomitees ausgegeben, und ein KGB- Fußsoldat müßte schon sehr wagemutig sein, um einen Wagen mit einem solchen Kennzeichen anzuhalten und zu kontrollieren. Die beiden Agenten notierten sich aber die Nummer und informierten mit ihren Sprechfunkgeräten sofort die Zentrale.
Martins hatte eine gute Wahl getroffen. Die Zulassungsnummer an dem Mercedes gehörte einem Politbüro-Kandidaten, der gerade im Fernen Osten war, in der Nähe von Chabarowsk. Man brauchte vier Stunden, um ihn ausfindig zu machen und von ihm zu erfahren, daß er keinen Mercedes hatte, sondern einen Tschaika, und daß dieser in Moskau in der Garage stand. Da war es aber schon zu spät; der Mercedes hatte wieder seine britische Botschafts-Livree an, und über der Kühlerhaube flatterte fröhlich der britische Stander.
Gorodow lehnte sich zurück; jetzt hatte er alle Brücken hinter sich abgebrochen.
»Wenn Sie schon seit langem ein sowjetischer Maulwurf sind, bin ich tot«, sagte McCready. Gorodow dachte darüber nach.
»Und wenn Sie schon seit langem ein sowjetischer Maulwurf sind«, erwiderte er, »dann bin ich tot.«
»Warum sind Sie nach Moskau gefahren?« wollte McCready wissen.
»Weil ich einen Fehler gemacht hatte«, sagte Gorodow. »Ich hatte Ihnen etwas versprochen und mußte feststellen, daß ich es in London nicht beschaffen konnte. Wenn ich mein Wort gebe, will ich es auch halten. Dann wurde ich zu dringenden Beratungen nach Moskau beordert. Ungehorsam hätte bedeutet, daß ich sofort in den Westen hätte kommen müssen Man hätte keinerlei Entschuldigung gelten lassen, wenn ich nicht geflogen, sondern in der Botschaft geblieben wäre. Ich dachte
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