McCreadys Doppelspiel
aber nachdem man etwa ein halbes Dutzend in Betracht gezogen hatte, fiel die Wahl auf Calvin Bailey. Dafür gab es zwei Gründe. Erstens wußten wir, daß er wegen seiner persönlichen Art innerhalb der CIA nicht besonders beliebt war. Zweitens hatte er in Vietnam gedient, einem plausiblen Land für eine angebliche Anwerbung durch den KGB.
Es war reine Routine, daß Calvin Bailey als CIA-Agent in Vietnam entdeckt wurde. Wir versuchen ja alle, die Agenten der jeweiligen Gegenseite zu identifizieren, und sobald das gelungen ist, verfolgen wir natürlich auch aufmerksam ihren weiteren Werdegang, also jede Versetzung und jede Beförderung. Manchmal kann das Ausbleiben einer Beförderung Unzufriedenheit auslösen, und die kann dann ein gewiefter Anwerber ausnutzen. Aber wem sage ich das.
Der KGB gleicht der CIA auch darin, daß er nie etwas wegwirft. Noch die winzigste Information, jedes kleinste Bruchstück, wird sorgfältig aufbewahrt und archiviert. Drosdows Durchbruch kam, als er zum zweitenmal das amerikanische Material sichtete, das wir nach dem Fall Saigons 1975 von den Vietnamesen bekommen hatten. Die meisten Ihrer Unterlagen waren verbrannt, aber ein paar blieben in dem Durcheinander erhalten. In einem Schriftstück wurde ein gewisser Nguyen van Troc erwähnt, der für die Amerikaner gearbeitet hatte.
Dieses Dokument wurde van Troc zum Verhängnis. Er und sein Cousin wurden verhaftet. Sie hatten nicht fliehen können. Der Cousin wurde exekutiert, aber van Troc wurde monatelang brutal verhört und dann in ein nordvietnamesisches Straflager gesteckt. Dort machte
Drosdow ihn 1980 ausfindig. Unter der Folter hatte er gestanden, daß er bei den Vietcong für Calvin Bailey gearbeitet hatte.
Die Regierung in Hanoi war zur Zusammenarbeit bereit, und man beraumte einen Fototermin an. Van Troc wurde aus dem Lager geholt, mit gutem Essen gemästet und in die Uniform eines vietnamesischen Obersts gesteckt. Dann wurde er fotografiert, wie er mit anderen Offizieren unmittelbar nach der Invasion in Kambodscha Tee trank. Den Tee servierten nacheinander drei verschiedene Männer, alles Hanoi-Agenten, die dann mit ihren Fotos in den Westen geschickt wurden. Van Troc wurde liquidiert.
Einer der Stewards gab sich als Flüchtling aus und zeigte das Foto stolz jedem britischen Offizier in Hongkong, der es sehen wollte. Schließlich wurde es konfisziert und nach London geschickt - wie geplant.«
»Wir haben eine Reproduktion davon nach Langley geschickt«, warf McCready ein. »Nur aus Gefälligkeit. Es hatte scheinbar keinen Wert.«
»Drosdow wußte bereits, daß Bailey am Programm Phoenix beteiligt gewesen war«, fuhr Gorodow fort. »Er war von unserem Residenten in Saigon entdeckt worden, einem Mann, der sich als Schwede und Importeur für Spirituosen für die Ausländer in Vietnam ausgab. Und Drosdow erfuhr, daß Bailey in My Lai gewesen war, als Bailey bei der Kriegsgerichtsverhandlung gegen den jungen Offizier als Zeuge aussagte. Ihr seid in Amerika sehr großzügig mit der Veröffentlichung amtlicher Unterlagen. Der KGB schlachtet sie weidlich aus.
Wie auch immer, man war überzeugt, ein plausibles Szenarium für einen Gesinnungswandel von Bailey gefunden zu haben. Sein Aufenthalt in Tokio 1970 war registriert worden - reine Routine. Drosdow brauchte Orlow nur aufzutragen, er solle behaupten, er, Drosdow, sei an einem bestimmten Tag in Tokio gewesen, um die Führung eines amerikanischen CIA- Renegaten zu übernehmen, und als Sie das überprüften - siehe da, es stimmte. Natürlich war Drosdow 1970 nicht in Tokio, das wurde nachträglich erfunden.
Von da an wurde das Belastungsmaterial gegen Bailey zusammengetragen, Steinchen für Steinchen. Pjotr Orlow wurde etwa 1981 zum Desinformationsagenten bestimmt; seitdem wurde er durch Schulungen und zahllose Proben auf diese Aufgabe vorbereitet. Als Urtschenko törichterweise nach Moskau zurückkehrte, lieferte er dem KGB vor seinem Tod noch wertvolle Informationen darüber, wie man in Amerika mit Überläufern verfährt. Orlow konnte sich also darauf vorbereiten, den Fallen auszuweichen, dem Lügendetektor zu widerstehen und Ihnen immer genau das zu sagen, was Sie hören wollten. Nicht zuviel, aber immerhin so viel, daß bei Ihren Überprüfungen alles zusammenpaßte.
Nachdem Drosdow sich Bailey zum Opfer erkoren hatte, wurde Bailey auf Schritt und Tritt überwacht. Wohin er auch fuhr, stets wurde es registriert. Nachdem er befördert worden war und häufig nach Europa und in
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