McCreadys Doppelspiel
Körpergröße. Sie drehte sich zu ihm um.
»Vielen Dank, Firestone. Mehr brauche ich jetzt nicht.«
Er nickte und zog sich zurück. Sie rollte selbst noch ein, zwei Meter in den Raum und gab Hannah mit einer Handbewegung zu verstehen, daß er Platz nehmen möge. Sie lächelte.
»Der Name? Er war ein Findelkind, das jemand auf einer Abfalldeponie, in einem Firestone-Reifen, entdeckt hat. So. Und Sie? Sie müssen Detective Chief Superintendent Hannah von Scotland Yard sein. Das ist ein sehr hoher Rang für diese armen Inseln. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich muß mich dafür entschuldigen, daß ich Sie gegenüber Ihrem Hausmädchen Missy Coltrane genannt habe«, sagte er. »Niemand hat mich aufgeklärt, daß Sie Lady Coltrane sind.«
»Schon gut«, sagte sie. »Hier bin ich einfach Missy. Sie nennen mich alle bei diesem Namen. Es ist mir auch lieber so.
Alte Bräuche sterben nicht so rasch. Sie werden vielleicht bemerkt haben, daß ich keine gebürtige Engländerin bin, sondern in South Carolina geboren wurde.«
»Ihr verstorbener Gatte.« Hannah nickte zu dem Porträt hin ». war früher hier Gouverneur, wie ich sehe.«
»Ja. Wir haben uns während des Krieges kennengelernt. Robert hatte den Ersten Weltkrieg mitgemacht. Er hätte nicht noch einmal einrücken müssen. Aber er hat sich gemeldet. Wurde zum zweiten Mal verwundet. Ich war damals Krankenschwester. Wir haben uns ineinander verliebt, 1943 geheiratet und zehn wunderbare Jahre zusammen bis zu seinem Tod verbracht. Wir waren zwar im Alter fünfundzwanzig Jahre auseinander, aber das hat überhaupt keine Rolle gespielt. Nach dem Krieg hat ihn die Londoner Regierung zum Gouverneur der Barclays ernannt. Ich blieb hier, nachdem er gestorben war. Er war damals erst sechsundfünfzig. Zu spät behandelte Kriegsverletzungen.«
Hannah machte eine Überschlagsrechnung. Sir Robert dürfte 1897 auf die Welt gekommen sein und mit zwanzig sein Victoria Cross bekommen haben. Sie war wohl achtundsechzig, nicht alt genug für einen Rollstuhl. Sie schien mit ihren blauen Augen seine Gedanken zu lesen.
»Ich bin ausgerutscht und gestürzt«, sagte sie. »Vor zehn Jahren. Dabei habe ich mir das Rückgrat gebrochen. Aber Sie sind sicher nicht 4.000 Meilen weit gereist, um sich nach dem Befinden einer alten Frau im Rollstuhl zu erkundigen. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
Hannah begann.
»Die Sache ist so, daß ich mir kein Tatmotiv denken kann. Wer auch immer Sir Marston erschossen hat, muß ihn sehr gehaßt haben, um dazu fähig zu sein. Aber bei den Menschen auf diesen Inseln hier kann ich mir kein Motiv denken. Sie kennen die Leute. Wer wäre imstande gewesen, eine solche Tat zu begehen, und aus welchem Grund?«
Lady Coltrane rollte sich zu einem offenen Fenster und blickte eine Zeitlang hinaus.
»Mr. Hannah, Sie haben recht. Ich kenne die Menschen hier wirklich. Ich lebe ja seit fünfundvierzig Jahren hier. Ich liebe diese Inseln und ihre Bewohner. Ich hoffe, ich darf mir einbilden, daß sie mich ebenfalls lieben.«
Sie drehte den Rollstuhl herum und blickte Hannah lange an.
»In der großen Politik zählen diese Inseln überhaupt nicht. Und doch haben ihre Bewohner anscheinend etwas entdeckt, was der Außenwelt entgangen ist. Sie sind darauf gekommen, wie man es anstellt, glücklich zu leben. Nur das. Nicht reich, nicht mächtig, aber glücklich.
Jetzt möchte London uns unabhängig sehen, und zwei Kandidaten haben sich zur Wahl gestellt, rivalisieren um die Macht. Mr. Johnson, der sehr wohlhabend ist und den Inseln große Summen hat zukommen lassen, aus welchen Motiven auch immer; und Mr. Livingstone, der Sozialist, der alles verstaatlichen und unter die Armen aufteilen möchte. Sehr nobel, natürlich. Mr. Johnson mit seinen Plänen für Erschließung und Wohlstand, und Mr. Livingstone mit seinen Plänen, alle Menschen hier gleich zu machen.
Ich kenne beide. Ich habe sie schon gekannt, als sie noch kleine Jungen waren und als sie als Halbwüchsige die Inseln verließen, um anderswo ihr Glück zu suchen. Und jetzt sind sie wieder da.«
»Sie sind mißtrauisch gegen beide?« fragte Hannah.
»Mr. Hannah, der Grund sind die Männer, die sie mitgebracht haben. Sehen Sie sich die Typen an, mit denen die beiden sich umgeben haben. Es sind gewalttätige Männer, Mr. Hannah. Die Menschen hier wissen das. Schon sind Leute bedroht und verprügelt worden. Vielleicht sollten Sie sich mal die Entourage dieser beiden Kandidaten anschauen, Mr. Hannah.«
Auf
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