McCreadys Doppelspiel
nicht?«
Hannah hatte sich beim ersten Tageslicht das herausgerissene Schloß an der Stahltür in der Gartenmauer angesehen. Nach dem Zustand der beiden gebrochenen Haspen und des großen Vorhängeschlosses zu schließen, hatte wahrscheinlich jemand mit einem langen und sehr starken Brecheisen dafür gesorgt, daß der alte Stahl barst. Aber dann kam ihm die Idee, daß die Sprengung des Schlosses eine List gewesen sein könnte. Niemand hatte jemals die Tür zu öffnen versucht; man dachte, das sei unmöglich, weil sie eingerostet war.
Der Killer könnte das Schloß weggestemmt und die Tür in ihrem geschlossenen Zustand belassen haben, später durchs Haus gekommen sein, um den Gouverneur zu töten, und auf demselben Weg den Tatort verlassen haben. Was Hannah jetzt brauchte, war die zweite Kugel, hoffentlich unbeschädigt, und die Waffe, aus der sie abgefeuert worden war. Er blickte hinaus auf die funkelnde blaue See. Wenn sie auf dem Meeresgrund lag, würde er sie niemals finden.
Er stand auf, wischte sich die Lippen ab und ging hinaus, um Oscar zu suchen und sich von ihm nach Port Plaisance fahren zu lassen. Es war an der Zeit, daß er ein paar Worte mit Reverend Drake wechselte.
Auch Sam McCready saß beim Mittagessen. Als er den Speisesaal des Quarter Deck betrat, der zur Veranda hin offen war, stellte er fest, daß an sämtlichen Tischen Gäste saßen. Draußen auf dem Platz waren Männer in Strandhemden und mit dunklen Gangsterbrillen gerade damit beschäftigt, einen Lastwagen, geschmückt mit Fahnen und Wahlplakaten für Marcus Johnson, in die richtige Position zu bringen. Der große Mann sollte um drei Uhr eine Rede halten.
Sam McCready blickte sich auf der Terrasse um und sah einen einzigen unbesetzten Stuhl. Auf dem anderen Platz an diesem Tisch saß ein Mittagsgast.
»Heute herrscht ziemlicher Andrang. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?« fragte er. Eddie Favaro bot ihm mit einer Handbewegung den freien Stuhl an.
»Kein Problem.«
»Sind Sie zum Angeln hier?« fragte McCready, während er die Speisekarte studierte.
»Ja.«
»Komisch«, sagte McCready, nachdem er Ceviche, rohen Fisch, in Limonensaft mariniert, bestellt hatte. »Wenn ich mir nicht sicher wäre, daß es nicht stimmt, würde ich sagen, Sie sind ein Cop.«
Er erwähnte nichts von der Auskunft, die er am Abend vorher eingeholt hatte, nachdem er Favaro in der Hotelbar genau betrachtet hatte, sagte nichts von seinem Anruf bei einem Freund, den er im FBI-Büro in Miami hatte, und auch nichts von der Antwort, die an diesem Vormittag eingetroffen war. Favaro stellte sein Bierglas auf den Tisch und starrte ihn an.
»Was zum Teufel sind denn Sie?« fragte er. »Ein britischer Bobby? «
McCready machte eine abwehrende Handbewegung.
»O nein, nicht sowas Tolles. Nur ein einfacher Beamter, der weitab von seinem Schreibtisch einen geruhsamen Urlaub verbringen möchte.«
»Und was soll das heißen, daß ich Ihnen wie ein Cop vorkomme?«
»Der Instinkt sagt mir das. Sie halten sich wie ein Cop. Würde es Ihnen was ausmachen, mir zu erzählen, was Sie wirklich hierhergeführt hat?«
»Warum sollte ich das tun, verdammt?«
»Weil Sie«, antwortete McCready in einem milden Ton, »hier eingetroffen sind, kurz bevor der Gouverneur erschossen wurde. Und weil hier etwas drauf steht.«
Er reichte Favaro ein Blatt Papier, Briefpapier des Londoner Außenministeriums. Darauf stand, daß Mr. Frank Dillon ein Beamter dieses Ministeriums sei und daß man >jeden, den es betrifft<, darum ersuche, Mr. Dillon nach Möglichkeit zu unterstützen. Favaro gab das Blatt zurück und ließ sich die Dinge durch den Kopf gehen. Lieutenant Broderick hatte ihm klar gemacht, daß er auf eigene Faust handelte, sobald er britisches Territorium betreten hatte.
»Offiziell bin ich in Urlaub. Nein, ich bin kein Angler. Inoffiziell versuche ich herauszubekommen, warum mein Kollege vergangene Woche getötet wurde, und von wem.«
»Erzählen Sie mir davon«, schlug McCready vor. »Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein.«
Favaro berichtete ihm, wie Julio Gomez umgekommen war. Der Engländer kaute seinen rohen Fisch und hörte zu.
»Ich glaube, er hat möglicherweise hier auf Sunshine einen Mann gesehen und dieser ihn. Einen Mann, den wir in Metro-Dade als Francisco Mendes, alias >der Skorpion<, kennen.«
Acht Jahre vorher waren in Süd-Florida, besonders im Gebiet von Metro-Dade, die sogenannten >Revierkriege< ausgebrochen. Früher hatten die
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