McDermid, Val
an einem Ort, an dem er nicht
sein wollte.
Carol schaffte es viel besser
als er, Dingen, die sie nicht tun wollte, aus dem Weg zu gehen. Außerdem gelang
es ihr auch sehr gut, zu ermitteln, welche das waren, und sich entsprechend zu
verhalten. Ihre Anwesenheit an diesem Abend war allerdings freiwillig. Für sie
hatte das einen Stellenwert, der Tony fernlag.
Klar, John Brandon war der
erste Polizist in höherer Stellung, der ihn ernst genommen, ihn aus der Welt
der Therapie und Forschungsarbeit herausgeholt und ihm einen Platz als Profiler
in vorderster Front der Polizeiarbeit gegeben hatte. Aber hätte er es nicht
getan, dann hätte es eben jemand anders gemacht. Tony wusste Brandons Einsatz
für den Wert des Profiling zu schätzen. Aber ihre Beziehung war nie über das
Berufliche hinausgegangen. Er hätte sich vor diesem Abend gedrückt, wenn Carol
nicht betont hätte, dass die Kollegen es ziemlich seltsam finden würden, wenn
er nicht käme. Tony wusste, dass er seltsam war. Aber es war ihm doch lieber,
wenn den Leuten nicht so klar war, wie seltsam. Also war er hier, mit seinem
dünnen Lächeln auf dem Gesicht, wann immer jemand ihn ansah.
Carol dagegen in ihrem
glänzenden dunkelblauen Kleid, das von den Schultern über die Brüste bis zu den
Hüften und Fesseln genau die richtigen Kurven betonte, sah aus, als sei sie
geradezu dazu geboren, sich gewandt in der Menge zu bewegen. Ihr blondes Haar
sah heller aus, allerdings wusste Tony, dass der Grund dafür nicht das
kunstvolle Wirken eines Friseurs war, sondern dass sich immer mehr
Silbersträhnen unter das Gold mischten. Während sie durch den Raum schritt, belebte
sich ihr Gesicht bei den Begrüßungen, sie lächelte, die Augenbrauen hoben sich,
und die Augen strahlten. Schließlich gelangte sie bei ihm an, reichte ihm ein
Glas Wein und nahm einen Schluck von ihrem. »Du trinkst Rotwein?«, fragte Tony.
»Der weiße ist ungenießbar.«
Er nippte vorsichtig daran.
»Und der hier ist besser?«
»Verlass dich ruhig auf mich.«
Da sie viel mehr trank als er,
war er versucht, das zu tun. »Sollen Reden gehalten werden?«
»Der stellvertretende
Polizeipräsident will ein paar Worte sagen.«
»Ein paar? Das wär ja das
erste Mal.«
»Stimmt. Und wem das nicht
reicht, für den haben sie den ehrbaren Supercop ausgegraben, der John seine
goldene Uhr überreichen soll.«
Tony wich mit nur teilweise
gespieltem Entsetzen zurück. »Sir Derek Armthwaite? Ist der nicht gestorben?«
»Leider nicht. Da er der
Polizeipräsident war, der John auf der Karriereleiter nach oben befördert hat,
fanden sie, es wäre doch nett, ihn einzuladen.«
Tony schauderte. »Erinnere
mich, niemals zuzulassen, dass deine Kollegen meinen Ausstand organisieren.«
»Du bekommst eh keinen, du
gehörst nicht zu uns«, entgegnete Carol, lächelte aber dabei, um ihre Worte
etwas abzumildern. »Du bekommst nur mich, und ich lade dich dann zum besten
Curry in Bradfield ein.«
Bevor Tony antworten konnte,
übertönte das Dröhnen der Lautsprecheranlage die Unterhaltung, der
stellvertretende Polizeipräsident von Bradfield wurde angekündigt. Carol trank
aus und verschwand in der Menge, um sich ein weiteres Glas Wein zu holen und,
so nahm Tony an, um nebenbei ihre Kontakte ein bisschen zu pflegen. Sie war
jetzt seit einigen Jahren Chief Inspector und leitete in letzter Zeit ihre
eigene hochspezialisierte ständige Sonderkommission. Er wusste, dass sie hin-
und hergerissen war zwischen dem praktischen Einsatz ihrer Fähigkeiten und dem
Wunsch, in eine Stellung aufzusteigen, wo sie wirklichen Einfluss hatte. Tony
fragte sich, ob ihr diese Entscheidung abgenommen würde, da John Brandon nun
weg vom Fenster war.
Seine Grundsätze besagten,
dass jeder Mensch gleich viel wert sei, aber Detective Inspector Stuart Patterson
hatte sich beim Umgang mit den Toten nie an diesen Grundsatz halten können.
Irgendein verlotterter Junkie, der bei einer sinnlosen Hinterhofprügelei
erstochen wurde, würde ihn niemals so rühren wie dieses tote, verstümmelte
Kind. Er trat in dem weißen Zelt zur Seite, das den Fundort vor dem stetig trommelnden
nächtlichen Regen schützte. Er ließ die Kriminaltechniker weitermachen und
versuchte zu verdrängen, wie sehr dieses tote Mädchen, das kaum das
Teenageralter erreicht hatte, ihn an seine eigene Tochter erinnerte. Das
Mädchen, das hier im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, hätte eine von Lilys
Klassenkameradinnen sein können, hätte sie nicht eine andere
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