McDermid, Val
Maidment ist. Wie ich
schon sagte, wir haben hier wirklich ein Dilemma.« Er schickte schnell eine SMS
an Ambrose und wies ihn an, die Freundin zu befragen, bei der Jennifer angeblich
gewesen war, schloss dann seinen BlackBerry und versuchte, unter dem Mantel
seine Schultern zu lockern. »Sind wir so weit?«
Sie trotzten dem Regen und
gingen den Weg entlang zu dem Einfamilienhaus der Maidments, einer
dreistöckigen Doppelhaushälfte aus Backstein im edwardianischen Stil mit einem
gepflegten Garten. Das Haus war erleuchtet, und die Vorhänge waren
zurückgezogen. Die zwei Polizisten sahen ein Wohn- und ein Esszimmer, wie sie
sich keines hätten leisten können: überall glänzende Oberflächen, schöne Stoffe
und Bilder, wie man sie nicht bei IKEA findet. Pattersons Finger hatte kaum den
Klingelknopf berührt, als die Tür schon aufging. Der Zustand der Frau, die auf
der Schwelle stand, hätte auch unter anderen Umständen eine Reaktion
hervorgerufen. Aber Patterson hatte genug verzweifelte Mütter gesehen, dass ihn
das zerzauste Haar, die verschmierte Augenschminke, die zerbissenen Lippen und
der völlig verkrampfte Unterkiefer nicht überraschten. Als sie die beiden
Beamten mit ihren niedergeschlagenen Gesichtern sah, weiteten sich ihre
verschwollenen Augen. Eine Hand schlug sie vor den Mund, die andere legte sie
auf ihre Brust. »Oh Gott«, rief sie mit tränenerstickter Stimme.
»Mrs.Maidment? Ich
bin Detective Chief Inspector ...« Der Dienstgrad sagte Tania
Maidment, was sie eigentlich nicht wissen wollte. Ihr angstvolles Stöhnen
unterbrach Patterson. Sie taumelte und wäre gestürzt, wäre er nicht schnell auf
sie zugegangen, hätte einen Arm um ihre hängenden Schultern gelegt und sie
aufgefangen. Er trug sie halb ins Haus, DC Patel folgte.
Als er sie schließlich auf das
ausladende Wohnzimmersofa sinken ließ, zitterte Tania Maidment, als sei sie
völlig unterkühlt. »Nein, nein, nein«, rief sie immer wieder, während ihre
Zähne aufeinanderschlugen.
»Es tut mir sehr leid. Wir
haben eine Leiche gefunden, die wir für Ihre Tochter Jennifer halten«, sagte Patterson
und warf Patel einen flehentlichen Blick zu.
Sie nahm seinen Hinweis auf,
setzte sich neben die verstörte Frau und umfasste ihre kalten Hände mit ihren warmen.
»Können wir jemanden anrufen?«, fragte sie. »Jemanden, der bei Ihnen bleiben
könnte?«
Mrs. Maidment schüttelte den
Kopf, fahrig, aber bei klarem Verstand. »Nein, nein, nein.« Dann schnappte sie
nach Luft, als würde sie ertrinken. »Ihr Vater ... Er kommt morgen zurück. Aus
Indien. Er ist schon in der Luft. Er weiß nicht einmal, dass sie vermisst
wird.« Dann kamen die Tränen und eine Reihe schrecklicher, kehliger Schluchzer.
Patterson war sich nie unnützer vorgekommen.
Er wartete, bis der erste
Ansturm des Schmerzes nachließ. Es schien unglaublich lange zu dauern.
Schließlich ging Jennifers Mutter die Kraft aus. Patel hielt weiter den Arm um
die Schultern der Frau geschlungen und nickte ihm fast unmerklich zu. »Mrs.
Maidment, wir werden uns Jennifers Zimmer anschauen müssen«, sagte Patterson. Es
war herzlos, er wusste es. Bald würde eine Gruppe von Kriminaltechnikern
eintreffen und den Raum gründlich durchsuchen, aber er wollte als Erster die
Privatsphäre des toten Mädchens in sich aufnehmen. Außerdem mochte die Mutter
jetzt am Boden zerstört sein; aber häufig ging Eltern später auf, dass es
Elemente im Leben ihrer Kinder gab, die sie nicht vor der Öffentlichkeit
ausbreiten wollten. Sie hatten nicht die Absicht, die Ermittlungen zu
behindern, eher war es so, dass sie nicht immer den Stellenwert von Dingen
begriffen, die ihnen unwichtig vorkamen. Patterson wollte nicht, dass dies hier
passierte. Ohne eine Antwort abzuwarten, schlüpfte er aus dem Zimmer und ging
nach oben. Patterson fand, dass sich aus dem Lebensumfeld viel über das
Familienleben ablesen ließ. Während er die Treppe hinaufstieg, bildete er sich
eine Meinung über Jennifer Maidments Zuhause. Alles hatte einen Schimmer, der
auf Geld schließen ließ, ohne dass man den Eindruck von Perfektionismus bekam.
Auf dem Tisch in der Diele war achtlos geöffnete Post verstreut, ein Paar
Handschuhe lag auf dem Regalbrett über der Heizung, um die Blumen in einer Vase
auf dem Fensterbrett am Treppenabsatz hätte man sich kümmern müssen.
Im ersten Stock stand er vor
fünf geschlossenen Türen. Ein Zuhause also, in dem der Privatbereich etwas
galt. Zuerst kam das große Elternschlafzimmer, dann
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