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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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Unteroffizier Maclntyre auf die Bettpfanne zu heben, Fiona gewesen war. Und manchmal, wenn Briony sich um einen Soldaten kümmerte, der schreckliche Schmerzen litt, überkam sie ein unpersönliches Mitgefühl, das sich gleichsam vor sein Leid schob, wodurch es ihr möglich wurde, die Arbeit zügig und ohne jeden Widerwillen zu erledigen. In solchen Momenten begriff sie, was Krankenpflege bedeuten konnte, und sie wünschte sich nichts mehr, als ihren Abschluß zu machen und das Schildchen einer ausgebildeten Krankenschwester zu tragen. Dann konnte sie sich sogar vorstellen, daß sie ihren Ehrgeiz aufgab, Schriftstellerin werden zu wollen, um ihr Leben ganz diesen Augenblicken glücklicher, unterschiedsloser Menschenliebe zu widmen.
Gegen halb vier Uhr morgens sagte man ihr, sie solle zu Stationsschwester Drummond gehen, die gerade allein ein Bett bezog. Vor einer Weile hatte Briony sie im Spülraum gesehen. Sie schien überall zu sein und die unterschiedlichsten Aufgaben zu verrichten. Automatisch begann Briony, ihr zu helfen. Schwester Drummond sagte: »Wenn ich mich richtig erinnere, sprechen Sie etwas Französisch?«
»Nur Schulfranzösisch, Schwester.«
Mit einer Kopfbewegung wies sie zum Flurende. »Sehen Sie da den Soldaten am Ende der Reihe sitzen? Er wartet auf seine Operation, aber Sie brauchen keine Gesichtsmaske zu tragen. Suchen Sie sich einen Stuhl und setzen Sie sich zu ihm. Halten Sie ihm die Hand, und reden Sie mit ihm.«
Briony konnte nicht anders, sie fühlte sich gekränkt. »Aber ich bin überhaupt nicht müde, Schwester. Ehrlich nicht.« »Sie tun, was ich Ihnen gesagt habe.«
»Ja, Schwester.«
Er sah aus wie fünfzehn, doch entnahm sie seinem Krankenblatt, daß er achtzehn war, genauso alt wie sie. Er saß aufrecht, gestützt von mehreren Kissen, und beobachtete das Geschehen um sich herum mit kindlichem Staunen. Es fiel schwer, ihn sich als Soldaten vorzustellen. Er hatte ein zartes, hübsches Gesicht mit dunklen Brauen, dunklen, grünen Augen und weichen, vollen Lippen. Über dem weißen Antlitz lag ein ungewöhnlicher Schimmer, die Augen glänzten ungesund, und um den Kopf trug er einen dicken Verband. Als sie ihren Stuhl neben sein Bett stellte und sich setzte, lächelte er, als hätte er sie erwartet, und er wirkte durchaus nicht überrascht, als sie seine Hand nahm. »Te voilà enfin.« Seine Worte klangen wie ein melodisches Krächzen, doch konnte sie ihn mit knapper Not verstehen. Die Hand war kalt und fühlte sich glitschig an.
Sie sagte: »Schwester hat mich gebeten, mich zu Ihnen zu setzen und ein bißchen mit Ihnen zu schwatzen.« Da sie die genaue Vokabel nicht kannte, hatte sie »Schwester« wörtlich übersetzt. »Deine Schwester ist sehr freundlich.« Dann legte er den Kopf schief und fügte noch hinzu: »Aber das war sie ja schon immer. Und? Geht es ihr gut? Was treibt sie denn heutzutage so?« Seine Augen verrieten solche Warmherzigkeit, solchen Charme, solch jungenhaftes Bemühen, sie unterhalten zu wollen, daß sie nicht anders konnte, als sich auf ihn einzulassen.
»Sie ist auch Krankenpflegerin.«
»Natürlich. Das hattest du mir ja schon erzählt. Ist sie immer noch so glücklich? Hat sie den Mann geheiratet, den sie liebte? Du weißt schon, wen, ich hab seinen Namen vergessen. Du bist mir deshalb nicht böse, nein? Seit meiner Verwundung ist mein Gedächtnis nicht mehr besonders. Aber man hat mir gesagt, es würde bald wieder besser. Wie hieß er noch mal?«
»Robbie, aber…«
»Und jetzt sind sie glücklich verheiratet?«
»Äh, ich hoffe, das sind sie bald, ja.«
»Das freut mich für sie.«
»Sie haben mir noch gar nicht Ihren Namen gesagt.« »Luc. Luc Cornet. Und du, wie heißt du?«
Sie zögerte. »Tallis.«
»Tallis. Sehr schön.« Und so wie er ihren Namen aussprach, klang er tatsächlich schön.
Er wandte den Blick von ihrem Gesicht ab, schaute auf die Station und drehte den Kopf in stillem Staunen langsam hin und her. Dann schloß er die Augen und brabbelte leise vor sich hin. Ihr Französisch reichte nicht aus, um alles verstehen zu können. Einiges schnappte sie auf: »Man zählt sie langsam an der Hand ab, an den Fingern … Mutters Schal… du hast die Farbe ausgesucht, und jetzt mußt du auch damit leben.«
Er verstummte für einige Minuten. Seine Hand umklammerte ihre Finger. Als er wieder zu reden begann, hielt er die Augen weiterhin geschlossen.
»Weißt du, was seltsam ist? Ich bin zum ersten Mal in Paris.« »Sie sind in London, Luc. Wir schicken Sie

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