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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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können sie bleiben, wo sie sind.« Er lachte, doch keineswegs besonders überzeugend. »Hab ich was, das ich später meinen Enkeln zeigen kann.«
»Die könnten sich entzünden«, sagte Briony. »Und sie könnten wandern.«
»Wandern?«
»Sie graben sich ins Fleisch, dann in den Blutkreislauf und wandern schließlich zum Herz hinauf. Oder in Ihr Hirn.«
Er schien ihr zu glauben, legte sich hin und seufzte zur fernen Decke hinauf. »Verdammter Mist. Entschuldigen Sie, Schwester, ich meine, ich glaub, ich schaff das heute nicht.«
»Wollen wir sie nicht erst einmal zählen?« Das taten sie, laut. Acht. Sie drückte ihn sanft wieder in die Kissen.
»Die müssen raus. Bleiben Sie liegen. Ich mach, so schnell ich kann. Wenn es hilft, klammern Sie sich ruhig an der Bettkante fest.«
Seine Beine waren verkrampft und zitterten, als sie nach der Pinzette griff.
»Halten Sie nicht den Atem an. Versuchen Sie, sich zu entspannen.«
Er schnaubte verächtlich: »Entspannen!«
Sie stützte ihre rechte Hand mit der linken. Natürlich wäre es einfacher gewesen, sich aufs Bett zu setzen, doch
das war unprofessionell und strikt verboten. Als sie die linke Hand auf einen gesunden Teil des Beins legte, zuckte er zusammen. Dann wählte sie das kleinste Stück am Rand des Splitterfeldes aus. Zu sehen war nur ein schiefwinkliges Dreieck. Sie packte es, wartete eine Sekunde und zog es schließlich ohne zu wackeln und mit festem Ruck heraus.
»Scheiße!«
Das entschlüpfte Wort hallte durch die Station, schien sich wie ein Echo noch mehrmals zu wiederholen. Daraufhin wurde es still, zumindest wirkten die üblichen Stationsgeräusche hinterm Schirm plötzlich sehr gedämpft. Briony hielt das blutige Metallstück immer noch mit der Pinzette fest: Es war knapp zwei Zentimeter lang und lief unten spitz zu. Sie hörte zielstrebige Schritte näher kommen und ließ gerade den Schrapnellsplitter in die Nierenschale fallen, als Stationsschwester Drummond den Schirm beiseite fegte. Sie wirkte vollkommen gelassen, warf einen Blick auf das Bettende, um den Namen des Mannes zu lesen, und wohl auch, um sich über seinen Zustand zu informieren, beugte sich dann über ihn und starrte ihm ins Gesicht.
»Wie können Sie es wagen«, sagte die Schwester ruhig. Und dann noch einmal: »Wie können Sie es wagen, so vor einer meiner Pflegerinnen zu reden.«
»Tut mir leid, Schwester. Ist mir einfach so rausgerutscht.« Stationsschwester Drummond musterte verächtlich den Inhalt der Schale. »Sie können sich glücklich schätzen, Flieger Young. Verglichen mit dem, was wir in den letzten Stunden aufgenommen haben, haben Sie nur eine leichte Verletzung. Und jetzt zeigen Sie mal ein bißchen von dem Mut, den Ihre Uniform verdient. Machen Sie weiter, Schwester Tallis.«
Das Schweigen, das auf ihren Abgang folgte, unterbrach Briony mit munterer Stimme: »Dann wollen wir mal wieder, nicht? Sind ja bloß noch sieben. Und wenn alles vorbei ist, bring ich Ihnen auch einen Schluck Brandy.«
Er schwitzte, sein ganzer Körper bebte, und die Knöchel liefen weiß an, so fest umklammerte er das eiserne Bettgestell, aber er gab keinen Laut von sich, als Briony anfing, die übrigen Stücke herauszuziehen.
»Wenn Sie wollen, können Sie ruhig schreien.«
Doch er wollte keinen zweiten Besuch von Stationsschwester Drummond riskieren, und Briony konnte ihn verstehen. Den größten Splitter hob sie bis zum Schluß auf. Er löste sich nicht gleich beim ersten Mal. Der Soldat bäumte sich auf und stieß durch geschlossene Zähne ein lautes Zischen aus. Nach dem zweiten Versuch ragte der Splitter fünf Zentimeter aus der Wunde. Erst beim dritten Versuch klappte es, und sie hielt das Schrapnellstück hoch, ein blutverschmiertes, zehn Zentimeter langes Stilett aus unregelmäßig geformtem Stahl.
Erstaunt starrte er es an. »Spülen Sie es ab, Schwester. Das nehme ich mit nach Hause«. Dann drehte er sich um, drückte das Gesicht ins Kissen und begann zu schluchzen. Sicher nicht nur wegen der Schmerzen, sondern auch wegen der Worte »nach Hause«. Sie verschwand leise, um den Brandy zu holen, ging in den Spülraum und übergab sich.
Eine Ewigkeit lang nahm sie Verbände ab und wusch und verband die leichteren Wunden aufs neue. Dann kam der Auftrag, den sie bereits gefürchtet hatte.
»Ich möchte, daß Sie den Kopf des Schützen Latimer verbinden.«
Sie hatte vor einer Weile schon versucht, ihn zu füttern, hatte ihm das Essen teelöffelweise in das geträufelt, was von seinem Mund

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