Meade Glenn
alt. Er hatte dunkelbraune Augen und dickes lockiges Haar. Der Anblick der beiden erinnerte Karla an Spaziergänge mit Josef. Früher war sie an kalten Winternachmittagen oft mit ihm zum Hafe n in Sur gegangen und hatte ihm die bunten Fischerboote gezeigt. Auch sie hatte ihm mitunter den Schal enger um den Hals gebunden, um ihn vor der Kälte zu schützen. Als sie an die alten Zeiten dachte, verspürte sie unendliche Trauer. Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. Sie drehte sich um, und kurz darauf stand Gorev vor ihr. »Wie ist es gelaufen?«
Gorev lächelte. »Gut. War auch nicht anders zu erwarten. Ich hab die Info, die ich brauche. Wir kümmern uns morgen Früh darum, wenn du mir das Haus in Chesapeake gezeigt hast.« Er zündete sich eine Zigarette an und schlug seinen Jackenkragen hoch. »Ich hab dich von der Straße aus gesehen. Du warst ganz in Gedanken versunken, Karla. Na, was ging dir durch den Kopf?«
Karla wollte ihm gerade antworten, als ein Streifenwagen auftauchte und langsam die Uferstraße hinauffuhr. Einer der beiden Polizisten schaute in ihre Richtung. Karla drehte sich abrupt um. Gorev verzog keine Miene, bis der Wagen an ihnen vorbeigefahren war. »Entspann dich, Karla. Sie können unmöglich wissen, wer wir sind. Du solltest auf gar keinen Fall abrupt den Kopf wegdrehen. Das müsstest du doch am besten wissen. Als hättest du ein schlechtes Gewissen.«
»Es… es tut mir Leid, Nikolai. Ich hab einfach nicht nachgedacht.«
Gorev sah sich unauffällig nach dem Wagen um, der gerade um die Ecke bog. »Wirklich alles in Ordnung?« Er schaute ihr in die Augen und warf seine Kippe in die stürmischen Wogen.
»Hast du etwas auf dem Herzen? Möchtest du darüber sprechen?«
»Nein. Alles okay.«
»Du würdest es mir doch sagen, nicht wahr?«
»Natürlich.«
Gorev ließ es dabei bewenden, obwohl er nicht sicher war, ob sie die Wahrheit gesagt hatte. Er hakte sich bei ihr unter.
»Komm, wir verschwinden. Vielleicht drehen die Bullen noch eine Runde.«
24
FBI-Zentrale
12. November, 1.55 Uhr
ZurFBI-Zentrale gehörte ein kleiner Platz, auf dem Blumentöpfe, ein paar Grünpflanzen und Bänke standen.
Hierhin zogen sich die Agenten manchmal in ihren Pausen zurück, um eine Kleinigkeit zu essen, frische Luft zu schnappen, eine Zigarette zu rauchen oder nur der Enge der Büros zu entfliehen. An diesem kalten, düsteren Morgen lag der Platz verlassen da. Eine kühle Brise fegte über die Bänke und Blumentöpfe.
Nach seinem Gespräch mit Murphy war Collins hinaus auf den Platz gegangen. Er hatte einen braunen DIN-A4-Umschlag bei sich. Als er sich auf eine der Bänke setzte, zitterten seine Hände. Daran war nicht etwa die Kälte schuld, sondern der Schock über den makabren Videofilm und seine grenzenlose Wut. In den Monaten nach dem Bombenanschlag auf die USS
Cole war dieser Name in den Ermittlungsberichten, die sich beim FBI, der CIA und dem Außenministerium stapelten, immer wieder aufgetaucht: Mohamed Rashid. Ein skrupelloser al-Qaida-Terrorist, ein Psychopath, der gnadenlos tötete und für den Anschlag auf die
Cole
und zahlreiche andere
Terroranschläge verantwortlich war. Die Berichte enthielten Ermittlungsergebnisse, die nicht immer hundertprozentig bewiesen waren. Da alle Berichte zum selben Ergebnis kamen, zweifelte Collins jedoch nicht an ihrem Wahr heitsgehalt. Trotz einer Großfahndung des FBI, die zur Verhaftung von vier im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Cole stehende al-Qaida-Terroristen geführt hatte, war Rashid entwischt.
Collins öffnete den Umschlag, den er aus seinem Schreibtisch genommen hatte. Er enthielt das unscharfe Foto eines Arabers.
Die ausgesprochen schlechte Aufnahme konnte auch mit den besten Computerprogrammen kaum verbessert werden. Das Gesicht des Mannes blieb unscharf. Ein Mossad-Agent hatte das Bild vor über fünf Jahren aus ziemlicher Entfernung geschossen.
Es gehörte zu den wenigen Fotos, die dem FBI und der CIA von Mohamed Rashid vorlagen. Der Terrorist war ein unglaublich gerissener Bursche, den man nicht zu fassen bekam und von dem nur wenige Fotos existierten. Dieses Foto gehörte zu den besten. Trotz der schlechten Qualität hatten sich Collins alle wesentlichen Merkmale ins Hirn gebrannt: die schmalen Lippen, die krumme Nase und die dunklen Augen, in denen ein mörderisches Feuer brannte.
Beim Anblick des Fotos steigerte sich Collins’ Wut ins Unermessliche. Er versuchte seine Wut zu unterdrücken und sich stattdessen auf die
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