Meade Glenn
beäugten. Kurz darauf folgte Ishim Razan mit den beiden Leibwächtern, was die Männer zu beruhigen schien.
»Setz dich, Nikolai.« Razan wählte einen Tisch ein Stück vom Fenster entfernt aus. Seine Leibwächter suchten sich einen anderen Platz, der ganz in der Nähe, aber außer Hörweite war.
Gorev setzte sich und musterte Razan. Er sah anders aus als früher. Statt der Uniform der sowjetischen Fallschirmjäger trug er teure Klamotten. Der Anzug war aus bestem Tuch gearbeitet und stammte entweder von einem italienischen Modeschöpfer oder aus einem Geschäft an der Fifth Avenue. Das blassblaue Hemd und die graue Krawatte waren aus feiner Seide und die Manschettenknöpfe aus reinem Gold. In der linken Hand hielt er seinen Spazierstock mit dem silbernen Knauf, den er immer bei sich führte. Gorev hatte davon gehört. Der Tschetschene war im Laufe der letzten Jahre gealtert. Trotz der ergrauten Schläfen und der runden Wangen war er noch immer ein attraktiver Mann. Nur die schwarze Augenklappe, die sein fehlendes Auge verdeckte, passte nicht zu seinem gefälligen, gepflegten Äußeren.
Er nahm gegenüber von Gorev Platz. »Wir haben uns lange nicht gesehen, Nikolai. Woher wusstest du, wo du mich finden kannst?«, fragte er auf Tschetschenisch.
»Ich habe im Laufe der Jahre viel von dir gehört.«
»Gutes oder Schlechtes?«
»Beides.«
»Und was genau?«
»Leutnant Razan vom fünften Fallschirmjäger-Bataillon hatte die Schnauze voll vom ewigen Kampf gegen sein Volk, und da es keine Aussicht auf eine Beförderung gab, verließ er schließlich die Armee. Er soll sich einer anderen Tätigkeit zugewandt haben, die viel einträglicher und sehr erfolgreich ist.«
Razan lachte. »Du hast viel gehört. Sonst noch was?«
»Ishim Razan ist ein Mann, der geachtet und gefürchtet wird.
Er besitzt große Aktienanteile an Unternehmen in Russland, Europa und Amerika. Nebenbei handelt er illegal mit Diamanten und Edelmetallen.«
Razan war beeindruckt. »Du bist ja bestens informiert, Nikolai. Das habe ich schon damals an dir bewundert.«
»Wie geht es deiner Familie?«
»Gesund und munter. Talina und die Jungen ziehen das Klima in Florida vor. Ich hab dort eine Villa und fliege übers Wochenende oder an freien Tagen meistens zu ihnen. Das Leben ist schön, Nikolai.« Der Tschetschene zog eine dicke Zigarre aus seiner Brusttasche, zündete sie an und paffte den Rauch in die Luft. »Und was gibt es so Dringendes?«
Gorev weihte ihn ein. Razan lauschte gebannt seinen Worten.
»Du hast nicht zufällig diese seltsamen arabischen Zigaretten geraucht, mein Freund?«, fragte er ein wenig amüsiert.
»Nein, hab ich nicht.«
»Ich bin der tschetschenischen Sache verpflichtet, aber was genau hast du vor?«
»Frag mich nicht, Ishim. Du genießt mein vollstes Vertrauen, aber es ist trotzdem besser, wenn du es nicht weißt. Ich will nicht, dass die Bullen dich ins Visier nehmen. Ein Mann wie du müsste jemanden in der Nähe Washingtons kennen, der uns die Sachen, die ich brauche, besorgen kann, ohne Fragen zu stellen und ohne die Polizei zu alarmieren.«
Razan rieb sich über die Wange und zog einen Notizblock und einen Stift aus der Innentasche seiner Lederjacke. Er schrieb etwas auf, riss das Blatt heraus und reichte es Gorev. »Dieser Mann kann dir helfen. Er hört auf den Namen Benny Visto. Du findest ihn unter dieser Adresse auf der 14. Straße. Er kann dir alles, was du brauchst, schnell und diskret besorgen. Allerdings hat er seinen Preis.«
Gorev schaute sich Namen und Adresse an. »Du bist ganz sicher, dass er die Bullen aus dem Spiel lässt?«
Razan drückte seine
Zigarre
schmunzelnd in dem
Metallaschenbecher aus. »Visto ist ein Mann, der absolut nichts mit der Polizei zu tun haben will. Der verpfeift niemanden bei den Bullen, aber Vorsicht ist immer geboten, alter Junge. Ist ‘ne ziemlich miese Ratte.«
Auf der Strandpromenade in Atlantic City wehte ein kalter Wind. Die Wellen brandeten schäumend ans Ufer. Dennoch lud der Abend zu einem Spaziergang ein. Karla Sharif hatte ihren Honda Civic geparkt und spazierte in einem dicken Blouson über die Holzpromenade. Ihr Haar war im Nacken zusammengebunden. In der Mitte der Promenade blieb sie stehen und schaute aufs Meer. Eine kühle Brise fegte über ihr Gesicht. Paare und Familien mit kleinen Kindern bummelten über die Promenade. Eine Mutter knöpfte die Jacke ihres Sohnes zu, damit er sich nicht verkühlte. Der Kleine war vielleicht vier oder fünf Jahre
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