Meade Glenn
gibt. Wenn sie sich in Washington aufhalten und wir sie finden, werden sie für alles büßen. Das schwöre ich Ihnen.«
30
Washington, D.C.
12. November, 8.15 Uhr
Diese morgendliche Szene hätte sich in tausenden von amerikanischen Familien abspielen können. Der laute Ton des Fernsehers hallte durch die Küche. Der dreijährige Daniel Dean aß seine Cornflakes und starrte gebannt auf eine Episode von Pokemon. Nikki Dean, die neben ihm auf einem Stuhl saß, trank Kaffee und betrachtete liebevoll ihren Sohn.
Als Daniel den Blick hob, fiel sein Löffel klirrend auf den Teller. » Pokemon vorbei. Kann Daniel Scobydoo gucken?«
»Fünf Minuten, Daniel. Dann müssen wir gehen.«
Ihr Sohn zappte durch die Kanäle, bis er seine geliebte Zeichentrickserie gefunden hatte. Nikki überkam ein wenig Wehmut, als sie ihren Sohn beobachtete. Sie dachte: Es ist noch gar nicht so lange her, da war er ein hilfloser Säugling. Jetzt zappt er durch die Kanäle, bedient den Videorecorder, geht in die Vorschule, spricht, streitet und entwickelt eine eigene Meinung. Gestern Nacht hatte sie neben ihrem Sohn im Bett gelegen und jäh erkannt, dass Daniel kein Baby mehr war. Die Erkenntnis schmerzte. Das kleine Baby gab es nicht mehr.
Sie musste an das gestrige Gespräch mit Jack denken. An die Dinge, die sie sagen wollte, aber nicht gesagt hatte. Sie hatte das Gefühl, in eine Lebenskrise geraten zu sein. Seit einigen Jahren lebte sie ohne richtige Ziele. Sie bemühte sich, eine gute Mutter zu sein, beruflich weiterzukommen und ihre gescheiterte Ehe zu verarbeiten. Der Wunsch, ihrem Leben mehr Sinn zu verleihen, wuchs zusehends. Und sie wusste ganz genau, was sie vermisste.
Vor vielen Jahren hatte ihre Mutter einmal zu ihr gesagt: Im Leben dreht sich alles ums Leben. Den Sinn dieser Lebensweisheit hatte sie erst verstanden, nachdem Daniel geboren worden war. Mit einem Kind ist man gezwungen, ein geregeltes Leben zu führen. Kinder bringen Freude und Liebe ins Leben. Wenn ihr jemand vor zehn Jahren, als sie mit großem Ehrgeiz ihre journalistische Karriere verfolgt hatte, gesagt hätte, ein Baby sei ein wahrer Segen, hätte sie ihn ausgelacht. Es entsprach jedoch der Wahrheit. Ohne die ungeheure Verantwortung für ein Baby, das Liebe und Fürsorge brauchte, das gefüttert und angezogen werden musste, hätte sie die Trennung von Mark nicht unbeschadet überstanden.
Jetzt hatte sie neue Ziele. Sie träumte von einer festen Beziehung und einer Familie. Auch ihren Wunsch nach weiteren Kindern hatte sie Jack nicht gestanden. Damit konnte sie nicht ewig warten. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie schnell die Zeit verging. Sie wollte nicht mit ihrem Sohn allein bleiben, sondern endlich wissen, wo sie hingehörte. Ihr Ziel war eine harmonische, solide Beziehung. Und sie wusste nicht, ob Jack ebenso dachte.
Er hatte gestern Abend nicht wie versprochen angerufen, und darüber wunderte sie sich. War seine Arbeit daran schuld, oder hatte ihr Vorschlag ihn abgeschreckt? Sie erinnerte sich an den Rat, den ihr eine Freundin einst gegeben hatte: Wenn ein Mann sagt, er sei noch nicht bereit, eine feste Beziehung zu führen, glaube ihm und gehe deines Weges.
Sie trank ihren Kaffee aus. »Daniel, wir müssen jetzt gehen.
Zeit für die Vorschule. Und deine Mama kommt sonst zu spät zur Arbeit.«
An diesem Tag standen zwei Interviews auf dem Programm, eines mit dem Polizeipräsidenten und das andere mit dem Leiter der Flugsicherung des Reagan Airports, Tony Gazara. Bei dem ersten ging es um einen Zwischenbericht über das neue Krisen-Kontrollzentrum, das die Polizei vor einem Jahr am Ecklington Place eröffnet hatte. Die Flughafengeschichte interessierte Nikki nicht besonders, aber man hatte ihr die Sache aufs Auge gedrückt. In der letzten Woche wäre es beim Landeflug auf den Reagan Airport fast zu zwei Flugunglücken gekommen, und der Herausgeber der Post wollte etwas über die Probleme der Flugsicherung bringen.
»Daniel, beeil dich, Liebling.«
Daniel seufzte, schaltete den Fernseher aus und stand auf.
»Oookaaay.«
Nikki zog ihm Jacke, Mütze und Schal an und hängte ihm seine Schultasche mit dem Logo der Power Rangers auf den Rücken.
»Daniel… Mama möchte dir eine Frage stellen.« Sie zögerte einen Moment und fragte ihn dann: »Magst du Jack?«
Daniel nickte. »Jack hat mir zum Geburtstag eine Badehose von den Power Rangers geschenkt.«
»Nur darum magst du ihn?«
Daniel runzelte die Stirn und zuckte die Schultern.
»Würde es dir
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